Den Alltag Demenz erkrankter Mensch erleben - Der Demenzsimulator „Hands on Dementia“

Demenz gehört zu den häufigsten Erkrankungen meist älterer Menschen. Allein in Deutschland sind 1,6 Millionen Menschen davon betroffen. Aber noch sind nicht alle Ursachen für eine Demenz vollständig erforscht. Gleichzeitig ist die Pflege von an Demenz bzw. an einem demenziellen Syndrom Erkrankter äußerst herausfordernd.

Die Betroffenen leiden an Störungen von Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache, Sprechen und Urteilsvermögen. Darüber hinaus kommt es häufig auch zu Veränderungen der emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens oder der Motivation.

Um den pflegenden Angehörigen, aber auch Pflegepersonal zu vermitteln, welche Auswirkungen eine Demenz auf den Alltag der Patienten hat, hat Leon Maluck, Student der Medical School Berlin im Fach Psychologie, den Parcours „Hands on Dementia“ entwickelt. “. Er führt die Teilnehmer*innen durch einen ganz gewöhnlichen Tag.

In insgesamt 13 alltäglichen Situationen simuliert er dabei die typischen Symptome einer Demenz. Angefangen beim Anziehen bis hin zum Abendessen erleben die Teilnehmenden, wie sich diese Symptome anfühlen und welches Unbehagen die Erkrankten empfinden.

Wir haben uns mit Frau Wilhelmi, Psychologin, Ideengeberin und Mutter des Erfinders unterhalten und interessante Einblicke in den Parcours  und das, was er mit den Teilnehmer*innen macht, erhalten.

 

Frau Wilhelmi, wie kam es zu dem Demenzparcours?

Vor vielen Jahren bat mich mein damaliger Chef, in einem Einkaufszentrum über Demenz zu informieren. Mir war schnell klar, dass ich bei den Passant*innen nur die Neugierde wecken konnte, wenn ich ihnen etwas biete. Ich habe also Übungen entwickelt und Interessent*innen konnte diese dann vor Ort durchführen. Das waren die Anfänge des Demenzparcours.

Mein Sohn hat den Demenzparcours vor allem für Schulklassen weiterentwickelt. Heute können mit „Hands on Dementia“ alle erfahren, was es für an Demenz Erkrankte bedeutet, den Alltag zu meistern. Von pflegenden Angehörigen, über Ärzte, Pflegepersonal bis hin zu Kindern in der Kita.

Warum ist es so schwer, zu empfinden, wie ein Demenzkranker?

Ein Beispiel: Wenn ich Ihnen erkläre, dass Menschen mit demenziellem Syndrom an Apraxie leiden, also unter einer Störung der Handlungsfähigkeit, dann ist das Verstehen das eine. Das andere ist das eigene Erleben – das Nachempfinden dessen, wie sich die Patient*innen fühlen. Ein Grund auch, weshalb der Demenzsimulator sich an einem ganz normalen Tagesablauf orientiert. Angefangen beim morgendlichen Anziehen, über das Mittagessen bis hin zum Zubettgehen.

Wie kann man sich den Ablauf vorstellen? Können Sie das mal anhand eines Beispiels veranschaulichen?

Das wohl prägnanteste Beispiel ist das Mittagessen. Hier müssen die Teilnehmer*innen versuchen, Papierkügelchen mit Messer und Gabel auf dem Teller zu verteilen. Das hört sich erst mal einfach an. Aber, alles ist in einer Box untergebracht und die Teilnehmer*innen sehen ihre Handlungen in einem Spiegel.

Mit dem Spiegel wird das Gehirn ausgetrickst. Die Folge, die Teilnehmer*innen können ihre Handlungen nicht mehr koordinieren. Ähnlich ergeht es an Demenz Erkrankten. Bei Patienten mit Demenz sind im Gehirn bestimmte Verbindungen nicht mehr vorhanden, was dazu führt, dass sie bestimmte Abläufe nicht mehr koordinieren können.

Sie sagen, dass die Teilnehmenden an ihre Grenzen gebracht werden. Wie kann man sich das vorstellen?

Jede Übung lässt die Teilnehmenden an ihrem eigenen Verstand zweifeln, denn sie sieht und hört sich zwar ganz einfach an, birgt aber jede ihre eigenen Tücken. Diese vermeintlich einfachen Übungen nicht meistern zu können, löst bei vielen Scham, Verzweiflung, Nervosität und/oder Aggressionen aus.

Hands on Dementia durchläuft 13 alltägliche Situationen. Werden die Teilnehmer*innen professionell begleitet?

Jede einzelne Station ist autodidaktisch aufgebaut. Erst wird eine einführende Geschichte aus dem Alltag der fiktiven, an Demenz erkrankten Erna Müller beschrieben. Dann werden die Instruktionen zu der jeweiligen Station gegeben und abschließend wird man aufgefordert zu reflektieren. Das macht jeder für sich.

Es sollte aber immer eine Ansprechpartner*in vor Ort sein. Wir erleben es oft, insbesondere, wenn Angehörige den Parcours durchlaufen, dass diese in Tränen ausbrechen. Sie sollten dann professionell aufgefangen werden können.

Welches Feedback haben Sie bisher auf den Parcours erhalten? Was sagen Ihre Teilnehmer*innen?

Viele Teilnehmer*innen sind einfach nur dankbar. Wir hören oft: „Hätte ich das nur früher schon mal gemacht. Ich war meiner Mutter/meinem Vater gegenüber oft ungerecht.“

famPLUS hat den Demenzsimulator "Hands on Dementia“ von Ihnen erworben, um ihn unter anderem bei Gesundheitstagen oder Informationsveranstaltungen in Unternehmen einzusetzen. Für wen ist der Demenzsimulator  geeignet?

Für alle. Nur nicht für bereits an Demenz Erkrankte. Es ist also durchaus sinnvoll, ihn auch mal bei einer solchen Veranstaltung einzubinden. Denn selbst wenn man nicht mittel- oder unmittelbar betroffen ist, sind die Einblicke, die man bekommt, nicht nur interessant sondern auch lehrreich.

Warum sollten alle, die mit Demenzkranken umgehen, Ihren Demenzsimulator  absolvieren?

Hands on Dementia hilft dabei, Demenzkranken mit mehr Verständnis zu begegnen. Angehörige sind in ihrem anstrengenden Pflegealltag oft rat- und hilflos. Weiß man erst mal, wie sich Demenzerkrankte fühlen, kann man ganz anders mit Ihnen umgehen und Ihnen gerecht werden. Ich bitte die Teilnehmenden immer wieder, sich in die Lage des oder der Erkrankten zu versetzen und frage dann: „Was würde Ihnen selbst gut  tun? Was würden Sie sich in dieser schwierigen Situation wünschen?“ Die Antwort ist immer die gleiche: „Das jemand versteht, wie es mir geht.“ Deshalb ist der Parcours so wertvoll für alle, die sich für Menschen mit Demenz engagieren. „Hands on Dementia" hilft, durch das eigene Erleben, Demenz im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen.

 

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