Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg, die Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit und die Stiftung Diakonie Württemberg haben Ende März 2017 gemeinsam das Pilotprojekt „Gutscheine für haushaltsnahe Dienstleistungen“ gestartet. Mit der Umsetzung beauftragt ist das Diakonische Werk Württemberg. Wir haben uns mit der Projektleiterin Petra Sperling über die Hintergründe des Projekts unterhalten, wer Anspruch auf Gutscheine hat und wie sie beantragt werden können.
Frau Sperling, was versteht man unter „haushaltsnahen Dienstleistungen“? Sind dies ausschließlich Reinigungsarbeiten oder kann der Begriff noch weiter ausgelegt werden?
Das ist nicht so einfach zu erklären. Wir haben dazu eine Liste erarbeitet, die genau auflistet, was unter „Haushaltsnaher Dienstleistung“ verstanden wird. Am Besten ist es, wenn Interessierte sich diese zusenden lassen.
Was verspricht sich das BMFSFJ in Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit Baden-Württemberg und dem Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg davon, Gutscheine für haushaltsnahe Dienstleistungen anzubieten?
Das obergeordnete Ziel ist die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Die Erhöhung der Arbeitszeit der Fachkräfte und damit die höhere eigene Absicherung der Fachkräfte. Denn es macht einen sehr großen Unterschied für die spätere Rente, ob eine Fachkraft nur 15 Stunden arbeitet oder 20 oder 30. Je mehr sie arbeitet, desto höher sind ihre Rentenpunkte. Gleichzeitig sollen aber auch die Personen, die bereits in der Hauswirtschaft tätig sind, aus der Grauzone beziehungsweise der Schwarzarbeit zu holen und in eine sozialversicherungspflichtige Anstellung zu bringen.
Wer hat Anspruch auf den Gutschein? Bekommen den alle?
Voraussetzung für das Modellprojekt, das wir hier in Baden Württemberg durchführen ist, dass die Antragsteller im Landkreis Heilbronn oder Aalen wohnen und dass die Arbeitszeit tatsächlich erhöht wird. Es richtet sich an Wiedereinsteigende, Arbeitslose oder Arbeitssuchende mit Familienaufgaben, die anstatt der üblichen 15 - 20 Wochenstunden eine Beschäftigung mit mindestens 25 - 30 Wochenstunden aufnehmen möchten. Aber auch an Berufstätige, die wegen Betreuungs- und Pflegeaufgaben ihre Arbeitszeit auf unter 25 - 30 Stunden reduziert und auf mindestens 30 Stunden erhöhen möchten.
Was ist mit den Personen, die nicht weiter erhöhen können, aber dennoch oder gerade deshalb Unterstützung benötigen?
Die haben im Rahmen dieses Modellprojektes keinen Anspruch. Man geht davon aus, dass viele Personen, die Teilzeit arbeiten, dies tun weil ihr Anteil an Care-Arbeit so groß ist, dass sie nicht mehr leisten können.
Es gibt doch aber auch Personen, die am Limit arbeiten – sowohl zeitlich und finanziell als auch körperlich und mental. Für all diese wäre doch die finanzielle Unterstützung durch einen Gutschein hilfreich.
Ja, aber für diese Personengruppe gilt das leider nicht. Es wäre aber möglich, kurzzeitig auf eine beispielsweise 60 Prozentstelle zu reduzieren, um dann den Gutschein zu beantragen und wieder zu erhöhen.
Haben auch Gut-Verdiener Anspruch auf Gutscheine?
Im Prinzip ja. Das ganze Modell beruht darauf, kein Benachteiligungsmodell zu sein. Es sollen nicht nur Menschen im Niedriglohnsektor unterstützt werden, sondern alle, die ihre Arbeitszeit erhöhen.
In welcher Höhe wird der Gutschein ausgestellt?
Es gibt einen Gutscheinzuschuss von 8 Euro. Hier in Baden-Württemberg geht man davon aus, dass eine Stunde in der Hauswirtschaft auf dem Schwarzmarkt mit 10 bis 15 Euro vergütet wird. Damit diese Dienstleistung von einer Person erbracht werden kann, die sozialversichert anstellt ist, muss ein Lohn zwischen 20 und 23 Euro pro Stunde gezahlt werden. So kommt man dann letztendlich mit dem Gutschein wieder ungefähr auf den Betrag, den man auch auf dem Schwarzmarkt gezahlt hätte.
Wie viele Dienstleistungsschecks kann man erwerben?
Pro Monat hat man einen Anspruch auf 20 Gutscheine.
Gibt es eine zeitliche Begrenzung für den Bezug der Gutscheine?
Im Augenblick gibt es nur die Begrenzung des Modellprojektvorhabens. Da das Projekt bis Februar 2019 läuft, können auch nur bis zu diesem Zeitpunkt Gutscheine beantragt werden. Eine andere zeitliche Begrenzung gibt es nicht.
Gibt es Sonderregelungen für Alleinerziehende? Zum Beispiel, dass diese mehr Gutscheine beantragen können?
Es sind insbesondere die Alleinerziehenden, die mit diesem Projekt angesprochen werden sollen. Grundvoraussetzung für alle ist aber, dass sie berufstätig sind und Arbeitszeit erhöhen.
Ich muss jetzt nochmal nachhaken: Der Prozentsatz der Alleinerziehenden, die vollzeit oder vollzeitnah arbeiten ist sehr hoch. Das ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass diese Frauen das Geld brauchen. Gleichzeitig ist die Belastung aus Beruf und Familie insbesondere für Alleinerziehende immens, ein Gutschein daher oftmals bitter notwendig.
Kann diese Personengruppe auch dann einen Gutschein beantragen, wenn sie keine Stunden erhöht?
Auch für die Gruppe der Alleinerziehenden gilt: Nur wenn sie Stunden erhöht, hat sie einen Anspruch.
Wo und wie können die Gutscheine beantragt werden?
Die können direkt bei den Agenturen für Arbeit in Heilbronn und Aalen beantragt werden. Die Kolleginnen dort haben in Zusammenarbeit mit uns Formulare entwickelt, mit denen die Gutscheine beantragt werden können.
Gibt es die Formulare schon online?
Wir sind noch dabei, sie zu entwickeln. Es ist aber für die Zukunft geplant diese online zugänglich zu machen.
Wie sieht es mit steuerlichen Vorteilen aus? Kann ich die verbleibenden Kosten absetzen?
Nein. Die Arten der Haushaltsnahen Dienstleistungen sind nach § 35a des Einkommenssteuerrecht fest definiert und nicht steuerlich absetzbar. Sicherlich wird es aber zukünftig zu Sonderfällen kommen, die dann einzeln geprüft werden müssen. Es ist ein Modellprojekt und man kann in diesem nicht alles antizipieren.
Wo findet man Haushaltshilfen?
Gemeinsam mit den Agenturen für Arbeit in Heilbronn und Aalen erstellen wir zur Zeit eine Liste der Dienstleistungsunternehmen. Parallel organisieren wir für Mai/Juni für beide Regionen Auftaktveranstaltungen, um den Dienstleistungsunternehmen unser Projekt vorzustellen und sie dafür zu gewinnen. Uns ist es wichtig, dass die Dienstleistungsunternehmen eine Eigenverpflichtung unterschreiben, überwiegend sozialversicherungspflichtige Mitarbeitende zu beschäftigen.
Woran erkennt man qualifizierte Dienstleister und wie ist sichergestellt, dass die Haushaltshilfen auch adäquat bezahlt werden?
Wie gesagt, wir arbeiten an Listen. Nach der Leistungserbringung müssen der Diakonie, die die Gutscheine erstattet, ein Leistungsnachweis und einen Rechnungsstellung geschickt werden. Der Leistungsnachweis muss sowohl vom Leistungserbringer als auch dem Leistungsempfänger unterschrieben werden. Das garantiert, dass sich keine „schwarzen Schafe“ die Gutscheine zum Nutzen machen.
Muss die Einstellung der Haushaltshilfe immer über einen Dienstleister erfolgen oder kann man sich auch selber eine Haushaltshilfe suchen, beziehungsweise eine Haushaltshilfe, die bisher schwarz gearbeitet hat, über den Gutschein quasi legalisieren?
Das ist nur möglich, wenn sich diese dazu bereit erklärt, sich von einem Dienstleister anstellen zu lassen.
Und wenn die Haushaltshilfe ein eigenes Gewerbe anmeldet?
Nein, auch dann nicht. Sie muss angestellt sein.
Der Nachteil einer Haushaltshilfe über einen Dienstleister ist doch sicherlich, dass man keine feste Haushaltshilfe hat, sondern immer eine andere ins Haus kommt?
Wir werden in Aalen und Heilbronn darauf achten, dass es lokale Dienstleister sind. Sicherlich kann es dann in Absprache mit den Firmen so geregelt werden, dass es maximal zwei Haushaltshilfen sind, die sich im Krankheits- oder Urlaubsfall gegenseitig vertreten.
Aalen und Heilbronn. Februar 2019 ist noch lange hin. Was können Frauen und Männer in den Teilen von Deutschland machen, in denen der Gutschein noch nicht angeboten wird?
Es kommt darauf an, wie sich das Projekt bewährt. Da das Projekt bis Ende Februar 2019 läuft, werden sicherlich vorher schon erste Entscheidungen getroffen oder Überlegungen angestellt.
Ich würde dazu raten, dass Interessierte in den regionalen Bundesagenturen nachfragen und nachhaken. Sie können aber auch auf den eigenen Arbeitgeber zugehen und von dem Projekt berichten. Ist es ein großer Arbeitgeber, hat dieser auch einen gewissen Einfluss auf die Bundesagentur für Arbeit und kann das Projekt vorantreiben.
Denn auch für die Arbeitgeber ist das Angebot imagefördernd. Sie können mit einer besseren Unterstützung bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in ihrer Region werben. Gleichzeitig könnten sie das Modell aber auch ihren bereits vorhandenen Teilzeitangestellten anbieten und ihnen so eine Erhöhung der Arbeitszeit ermöglichen.
Einen Rechtsanspruch auf diesen Gutschein gibt es nicht. In anderen Regionen kann er nicht eingeklagt werden.
Neben den Gutscheinen bieten Sie auch Qualifizierungsmaßnahmen. Was verbirgt sich dahinter?
Bisher gibt es für den Bereich Hauswirtschaft kaum Qualifizierungsmaßnahmen, Weiterbildungsangebote, die Dienstleistungsunternehmen für ihre Angestellten anbieten können. Viele sind der Meinung: „Putzen, bügeln, kochen kann jeder.“ Wir planen eine ausbildungsähnliche Qualifizierung, sind damit aber noch ganz in den Anfängen. Zur Zeit prüfen noch, wie wir das umsetzen können. Wir möchten erreichen, dass die Arbeit, die vor Ort geleistet wird, qualitativ wertvoll ist. Gleichzeitig sollen den Frauen und Männer die an den Qualifizierungsmaßnahmen als Sprungbrett dienen.
Als Sprungbrett wohin?
In eine weitere Beschäftigung oder auch eine qualifiziertere Beschäftigung. Zum Beispiel werden auch in Jugendhilfe- oder Kinderbetreuungseinrichtungen immer Hauswirtschaftshilfen gesucht. Es kann aber auch die Grundlage sein, um eine Ausbildung zur Erzieherin zu machen oder später Ökotrophologie zu studieren. Es gibt sicherlich vielfältige Lebensentwürfe.
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