Der Trauer begegnen - Abschiede gehören zum Leben.
Petra Sutor ist Trauerbegleiterin, Traumaberaterin, Coach, Autorin und Trainerin – und mittlerweile in ihrer selbstständigen Arbeit genauso erfolgreich wie in ihrer festangestellten Krisen- und Trauerbegleitung direkt im Konzern. Während andere zu Yoga-Stunden oder Chor-Proben gehen, schreibt sie viel lieber an ihren eigenen Büchern und beschreibt die Arbeit daran als ihre Herzensangelegenheit. Eines hat sie bereits 2020 erfolgreich unter dem Titel „Trauer am Arbeitsplatz“ im Patmos Verlag veröffentlicht. Ein Begleitbuch für Sternenkindereltern erscheint im gleichen Verlag im kommenden Jahr. Neuerdings ist Frau Sutor erfreulicherweise außerdem Kooperationspartnerin in unserem Lebens- und Sozialberatungsteam bei FamPLUS.
Im Gespräch mit Petra Sutor habe ich mit ihr darüber gesprochen, welchen Platz Trauer in unserer Gesellschaft einnimmt und einnehmen darf, wieso ein offener Umgang mit Trauer viel bekömmlicher ist als das Trauern hinter verschlossener Tür und warum es auch am Arbeitsplatz eine Trauerkultur geben sollte, um langfristig leistungsfähig zu bleiben.
Frau Sutor, wie schön, dass wir heute gemeinsam Zeit für unser Gespräch gefunden haben.
Ja, das finde ich auch. Momentan verbringe ich viel Zeit mit der Arbeit an meinem aktuellen Buch und der Vorbereitung meiner Fortbildung für Trauerbegleiter: innen im nächsten Jahr.
Sie sind ja bereits Autorin des Buchtitels „Trauer am Arbeitsplatz“. Wie sehen Sie denn den Stellenwert von Trauer inmitten einer Leistungsgesellschaft – darf Trauer in der Erwerbstätigkeit überhaupt stattfinden?
Erst einmal: Wir bleiben ja auch im Arbeitsplatz der Mensch, der wir im Privatleben sind. Deshalb sind die Grenzen, wenn es um Trauer geht, zwischen Privatleben und Arbeitswelt fließend. Und manchmal versterben ja auch Kolleg: innen am Arbeitsplatz, es geschehen Unfälle während der Arbeitszeit. Spätestens dann sind wir damit ganz maßgeblich konfrontiert.
Wenn Mitarbeitende trauern, sei es aufgrund eines privaten Todesfalles oder aber auch beim Tod von nahen Kolleginnen oder Kollegen, sind sie häufig nicht mehr genauso leistungsfähig wie vorher. Es kostet dann extrem viel Energie, einen Arbeitstag durchzuhalten und sich die Trauer vielleicht auch nicht anmerken zu lassen. Die Diskrepanz zwischen geforderter Leistungsfähigkeit und der Erschöpfung, die nun vorhanden ist, lässt sich meist nur schwer auf Dauer kompensieren. Und Trauer vergeht ja auch nicht nach ein paar Tagen. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen geben jedoch erst einmal nur wenig Spielraum. Bei einem Trauerfall von Angehörigen ersten Grades bekommt man ein bis drei Tage Sonderurlaub. Das ist allein schon aus organisatorischen Gründen zu wenig, weil beispielsweise die Beerdigung ja meist erst ein bis zwei Wochen später stattfindet. Die führt dazu, dass Mitarbeitende sich also Urlaub nehmen oder zum Arzt gehen und sich arbeitsunfähig schreiben lassen. Ich sage bewusst „arbeitsunfähig“, denn Trauernde sind nicht krank. Sie sind momentan einfach nicht in der Lage zu arbeiten.
Oft ist es jedoch auch so, dass trauernde Mitarbeitende sehr schnell an den Arbeitsplatz zurückkommen, obwohl es eigentlich noch viel zu früh ist. Sie gehen dann weit über ihre Kräfte - Durchhalten ist dann das Motto und sich bloß nichts anmerken lassen. Nach drei bis vier Monaten kommt dann der Anruf bei mir. Meist ist das die Zeit, in der die Beerdigung durch ist, Wohnungsauflösungen stattgefunden haben, der ganze Papierkram abgeschlossen ist und die Trauer sich endlich Raum nimmt. Dann beginnt im Unternehmen meine eigentliche Arbeit, den Trauerprozess bestmöglich zu begleiten.
Gleichwohl plädiere ich aber auch dafür, dass es gut sein kann, bald wieder zur Arbeit zurückzukehren oder aber auch Wiedereingliederungsmaßnahmen zu nutzen. Es ist, wie grundsätzlich in der Trauer immer, ganz individuell zu betrachten, was dem Einzelnen gut tut. Denn für manche, die vielleicht ein Kind oder den Ehepartner verloren haben, bietet der Arbeitsplatz auch eine Auszeit von der Trauer, die zuhause sehr präsent spürbar ist. Am Arbeitsplatz können sie dann Abstand nehmen, die Ablenkung kann helfen durchzuatmen und dem Trauerprozess eine Pause geben. Deshalb ist es so wichtig, dass Vorgesetzte Trauernde fragen, was sie brauchen. Ob die Auszeit nun sinnvoll ist oder flexible Arbeitszeitmodelle oder möglichst viel Normalität.
Haben Sie denn auch Fälle erlebt, in denen ein Trauerfall komplett verschwiegen wird, um eben nicht als leistungsunfähig wahrgenommen zu werden?
Ja, habe ich. Und vor allem durch Corona und Remote-Arbeit ist es schwieriger, Trauer zu erkennen. Denn jemandem, der nächtelang durchweint und kaum schläft, sieht man diese Trauer normalerweise an. Gibt es aber keinen Kontakt am Arbeitsplatz mehr, bleibt das im Zweifel unentdeckt, wenn auch bei Videokonferenzen die Kamera ausbleibt. Und grundsätzlich steht es auch jedem frei, private Trauerfälle nicht zu kommunizieren. Dies verhindert dann allerdings, dass der Arbeitgeber unterstützend reagieren kann.
Könnte es denn nicht genau aus diesem Grund ein Anreiz für Arbeitgeber sein, von vornherein eine offene Trauerkultur im Unternehmen zu etablieren, die einen Rahmen für die Koexistenz von Trauer und Leistungsfähigkeit schafft?
Ja, definitiv. Anlaufstellen im Falle von Trauer sind eine wirklich gute Maßnahme für die Begleitung von Anfang an - sowohl für Trauernde als auch für das Team oder die Vorgesetzten. Und die Begleitung kann ja schon einsetzen, wenn Mitarbeitende mit sterbenden Angehörigen belastet sind. Unternehmen müssen nicht unbedingt - wie in meinem Fall - eine Stelle für Krisen- und Trauerbegleitung etablieren. Aber es sollte eine Anlaufstelle geben, die kurzfristig professionelle Hilfe vermitteln kann und zwischen Vorgesetzten und Betroffenen vermittelt und Rahmenbedingungen vorschlägt, die für alle Beteiligten gangbar sind. So könnte in der Personalabteilung eine Liste von Trauerbegleiterin liegen, die kurzfristig eine Begleitung übernehmen können, aber auch beratend zur Seite stehen, wenn es Unterstützung für ganze Teams braucht, die bis hin zu Abschiedsfeiern nach dem Tod von Kolleg: innen reichen können. Meist haben Unternehmen schon viele gute Rahmenbedingungen, die dann einfach zum Einsatz kommen müssen. Grundlage für eine gute Begleitung von trauernden Mitarbeitern ist immer die Kommunikation miteinander, denn Trauer ist einfach extrem individuell.
Gibt es bestimmte „Erste- Hilfe- Methoden“?
Auch dies ist extrem individuell. Was häufig hilft, sind feste Trauerzeiten am Tag. Eine Verabredung mit der eigenen Trauer und mit dem Verstorbenen, denn wenn Mitarbeitende den ganzen Tag über keine Möglichkeit hatten zu trauern, holt sie das entweder ganz plötzlich völlig unkontrolliert ein oder die Trauer und das Gedankenkarussell holen sich nachts den Raum, den es einfach braucht. Trauer zu unterdrücken kostet ganz viel Energie und sie lässt sie auf Dauer selten verdrängen.
Was häufig gut hilft und immer erstmal für Schmunzeln sorgt, sind kleine Rituale im Alltag. Ein Klient von mir spricht jeden Morgen für wenige Minuten mit seinem besten verstorbenen Freund. Und zwar immer dann, wenn er auf den Knopf der Kaffeemaschine drückt. Das macht er so lange, bis der Kaffee durchgelaufen ist und länger, wenn er es braucht und möchte. Eine andere Klientin wiederum geht mit ihrem verstorbenen Mann in der Mittagspause durch den Park spazieren und unterhält sich mit ihm. Andere zünden jeden Abend eine Kerze an. Im Grunde ist es ganz gleich, wie das Ritual gestaltet wird. Es geht darum, der Trauer jeden Tag einen festen Platz zu geben und sie nicht krampfhaft zu verdrängen. Mit der Zeit werden diese kleinen Verabredungen meist weniger oder verändern sich. Was mir aber fast alle berichten ist, dass sie wieder besser schlafen können und die unkontrollierten, überwältigenden Momente sich deutlich verringern.
Was diese Methoden gemeinsam haben, ist das nach außen tragen der Trauer – etwas, das wir meistens eben nicht wollen und oft versuchen zu verbergen. Genauso wie Tränen zu zeigen.
Ich halte den offenen Umgang mit Trauersituationen für eine Bereicherung, auch wenn es erst einmal Zeit braucht, sich dem Thema anzunähern. Vor einigen Wochen hatten wir im Unternehmen mit dem Team keine Trauerfeier, sondern eine „Lebensfeier“ für einen verstorbenen Kollegen organisiert. Diese Feiern sind extrem wichtig und wertvoll. Es wurde viel über den Verstorbenen erzählt, es wurde gelacht und geweint. Wir konnten darüber sprechen, wie er in allem, was sie tun weiterlebt - weil sie so viel von ihm gelernt haben, weil er mit seiner großartigen Haltung Menschen gegenüber Zeichen gesetzt hat, weil er so positiv und visionär war. Das war so wundervoll und inspirierend für alle. Dieses Gute, das er hinterlässt bleibt - nicht nur die Trauer um seinen Verlust. Wir dürfen der Trauer auch immer etwas daneben stellen. Es darf beides sein: Lachen und Weinen, Wertschätzung und Vermissen. Viele werden seine Spur aufnehmen und weiterführen.
Wenn Arbeitgeber einen offenen Umgang mit solchen Situationen fördern und begleiten, trägt das maßgeblich zu einer besseren Unternehmenskultur bei. Menschen wachsen in Krisensituationen zusammen, wenn sie gut begleitet sind. Wir beobachten doch sehr genau, wie mit unseren Kolleginnen und Kollegen umgegangen wird. Schwingt doch immer die Frage mit „was ist, wenn mir das auch passiert?“. Wenn ich in den schwersten Stunden meines Lebens auch am Arbeitsplatz Wertschätzung und einen guten Umgang erfahre, wächst meist auch die Loyalität zum Arbeitgeber deutlich.
Offenbar scheint es immer mehr Bewusstwerdung für das Thema und immer mehr Nachfrage zu geben. Denn Sie planen ein Akademie- Angebot für Lebens- und Trauerbegleitung.
Genau. Ich werde ab nächstem Jahr die Große Basisqualifikation Trauerbegleitung nach den Qualitätsstandards des Bundesverbandes für Trauerbegleitung e.V. (BVT) hier im Hochtaunus anbieten. Weitere Seminare auch zu Trauer am Arbeitsplatz finden bereits in den Unternehmen statt und sollen auch für interessierte Unternehmensvertreter etabliert werden. Hierbei habe ich besonders Personalverantwortliche, Führungskräfte, Betriebsräte oder aber auch Verantwortliche für das betriebliche Gesundheitsmanagement im Blick. Eine gute Trauerkultur oder Prozesse zu etablieren ist kein Hexenwerk, das kann jedes Unternehmen umsetzen.
Warum gehen viele Menschen erst einmal zum Psychologen und nicht direkt in eine Trauerbegleitung?
Das hat vielfältige Gründe. Hausärzte schreiben eher die Überweisung zum Psychologen auf. Die Sitzungen dort werden von den Krankenkassen bezahlt. Trauerbegleitung muss selbst bezahlt werden – leider ist dies bis heute keine Kassenleistung, obwohl dies dringend nötig wäre. Es gibt zahlreiche Angebote: von Einzeltrauerbegleitung über Trauergruppen bis hin zu Trauerreisen. Manche Angebote sind kostenfrei oder kostengünstig, weil Träger oder Vereine über Spenden die Kosten kompensieren können. Immer wieder begegnen mir aber auch Menschen, die noch nie davon gehört haben, dass es so etwas wie Trauerbegleitung überhaupt gibt.
Wow, was für ein Defizit im Gesundheitssystem.
Es wäre sehr schön, wenn man den Fokus stärker auf die Relevanz von Trauerbegleitung setzen würde. Auch gerne präventiv. Nicht jede Trauernde braucht Trauerbegleitung, aber wenn sie notwendig ist, dann kann eine professionelle Begleitung den Trauerprozess maßgeblich erleichtern und neue Perspektiven schaffen.
Sie praktizieren ja mittlerweile auch sehr viel Trauerbegleitungen online. Gibt es eigentlich weitere Veränderungen und Folgen, die sich Corona-bedingt beobachten lassen?
Ab dem ersten Corona-Lockdown war ich deutlich mehr mit der Not der Menschen durch die fehlenden Abschiede konfrontiert. Der meist ausbleibende Abschied hat zur Folge, dass Menschen häufig überhaupt nicht realisieren können, dass ein Angehöriger verstorben ist und tatsächlich nicht wieder kommen wird. Wir hatten die Situation, dass Menschen ihre kranken Angehörigen an der Kliniktüre verabschiedet haben und Wochen später stehen sie vor dem verschlossenen Sarg oder der Urne. Dazwischen fehlten all die wichtigen Schritte, die zur Realisierung und zur späteren Verarbeitung nötig sind. Selbst die Bestattungen waren häufig extrem einsam. Die Teilnehmerzahl bei den Beerdigungen war extrem reduziert, Umarmungen blieben aus, der Kaffee nach der Beerdigung fand nicht statt, weil Menschengruppen nicht erlaubt waren. Dabei wissen wir, wie heilsam das soziale Umfeld und Nähe für Trauernde sind.
Gerade in den letzten Tagen finden zwischen Sterbenden sowie An- und Zugehörigen oft nochmal ganz wichtige Momente statt. Bestatter und Begleitende waren seither extrem gefordert, alternative Ideen zu entwickeln, um Abschiede bestmöglich zu gestalten. Viel Gutes ist daraus entstanden, auch dies gilt es zu würdigen. Und sicher auch eine größere Akzeptanz, dass gute Begleitungen auch online stattfinden können. Nichtsdestotrotz wünsche ich mir sehr, dass wir alle wieder eine Normalität erreichen, die Abschiede so möglich macht, dass es allen Beteiligten - den Sterbenden und den Zughörigen - gerecht wird.
Würden Sie denn empfehlen, dass Mitarbeitende, die ein Angebot zur Trauerbegleitung in ihrer Firma vermissen, an den nächsten Ansprechpartner herantreten, um hier etwas zu bewegen?
Firmen sollten grundsätzlich eine Anlaufstelle für Krisensituationen haben und wissen, wie in solchen Situationen bestmöglich mit Trauernden umgegangen werden sollte. Und ich beobachte häufig, dass eine Veränderung nicht immer direkt von oberster Hierarchieebene angeboten wird, sondern Mitarbeitende gezielt nach Angeboten nachfragen und Personalabteilungen dann diese nach und nach etablieren. Und wenn die Unternehmensstruktur keine beratende Anlaufstelle zur Verfügung stellen kann, dann sollte aber zumindest eine Liste vorhanden sein, wo man sich professionelle Unterstützung hinzuholen kann.
So eine Liste sollte in der Schublade vorhanden sein – und auf jeden Fall Ihr Buch „Trauer am Arbeitsplatz“, oder?
Ja, wer mein Buch hat braucht womöglich kein Seminar mehr. Es ist so geschrieben, dass es wirklich jeder verstehen kann und es richtet sich an Führungskräfte, an Personalverantwortliche, aber genauso an jeden ganz normalen Mitarbeitenden. Es ist für jeden geeignet und hilft ganz generell, wenn es um Trauer und den Umgang mit Trauernden geht. Tatsächlich nicht nur speziell am Arbeitsplatz wie mir Leser und Leserinnen inzwischen rückmelden.
In diesem Sinne: Es war ein sehr erhellendes Gespräch und schön, Ihnen zuzuhören. Vor allem, weil Sie eine so wohltuende Leichtigkeit in das Thema geben.
Unbedingt. Das Thema ist schwer genug. Deswegen darf es auch leicht gehen.
Vielen Dank für Ihre Zeit und Ihre wichtige Arbeit, Frau Sutor. An dieser Stelle möchten wir nicht unerwähnt lassen, dass Sie als Kooperationspartnerin unser Lebens- und Sozialberatungsteam bei FamPLUS bereichern. Wir freuen uns sehr.
Haben Sie als Leser: in einen Trauerfall in der Familie oder im Bekanntenkreis und wünschen ein persönliches Gespräch?
Kontaktieren Sie uns jederzeit telefonisch oder per Mail. Wir sind gerne für Sie da.
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