Wenn Kinder für ihre Eltern haften

Jörn Hauß ist Fachanwalt für Familienrecht. Er ist Mitglied mehrerer Kommissionen, Ausschüsse und Vereine und gehört laut Focus zu den 100 besten Familienrechtsanwälten Deutschlands. Für famPLUS berät er bundesweit persönlich und telefonisch zu allen Fragen rund um den Elternunterhalt. Wir haben uns mit ihm unterhalten und Antworten auf einige grundlegende Fragen erhalten.

Warum müssen Kinder für ihre Eltern Unterhalt zahlen?

Man könnte sich die Antwort auf die Frage leicht machen und auf das Gesetz verweisen. Nach § 1601 BGB schulden Verwandte in gerader Linie einander Unterhalt. So einfach ist es aber nicht. Sucht man nämlich nach einer rechtsethischen Begründung für die Unterhaltspflicht findet man nichts, was den Grundrechtseingriff, der durch den Elternunterhalt geschieht rechtfertigen würde. Moralische, ethische, religiöse, weltanschauliche Gründe scheiden als Rechtfertigung aus. Sie mögen für den einzelnen Bürger eine ausreichende Legitimationsgrundlage sein. Einen staatlichen Eingriff legitimieren sie indessen in einer laizistischen Gesellschaft nicht. Individuell mag man ‚Dankbarkeit‘ für die Versorgung in Kindheit und Adoleszenz als Legitimation ausreichen lassen. Schon vor mehr als 150 Jahren hat Schopenhauer indessen festgestellt, dass Dankbarkeit keine Pflicht sei. Der Elternunterhalt steht mithin auf einer sehr wackeligen Rechtfertigungsgrundlage, weshalb die unterhaltspflichtigen Kinder im Verhältnis zu anderen Unterhaltstatbeständen auch in vielerlei Hinsicht von der Rechtspraxis privilegiert werden.

Was zahlt die Pflegeversicherung?

Die Pflegeversicherung zahlt bei stationärer Unterbringung der Eltern je nach Pflegestufe zwischen 1.064 und  1.612 €. In besonderen Fällen etwas mehr. Das reicht aber meist nicht aus, den Bedarf der pflegebedürftigen Person zu finanzieren. Pflegeheime kosten zwischen 3.200 und 4.500 € monatlich. Der durchschnittliche Rentner kann auch unter Einschluss der Leistungen der Pflegeversicherung solche Kosten nicht finanzieren.

Was zahlt das Sozialamt?

Das Sozialamt zahlt den nicht aus eigenem Einkommen, Vermögen und Pflegeversicherungsleistungen des Pflegebedürftigen zu deckenden Bedarf. Ist die Rente geringer als das Existenzminimum, wird sie durch die Grundsicherung bis zum Sozialhilfeniveau aufgestockt. Wegen dieser Grundsicherung kann in aller Regel nicht auf die Kinder zurückgegriffen werden, wohl aber wegen der darüber hinausgehenden Leistungen des Sozialamtes zur Pflege.

Viele Kinder pflegen ihre Eltern Zuhause oder erbringen Pflegeleistungen. Können Sie dennoch gezwungen werden, Unterhalt zu bezahlen?

In diesen Fällen besteht in der Regel kein ungedeckter Bedarf der pflegebedürftigen Person. Die Lebenshaltungskosten wären über die eigene Rente oder Grundsicherung abgedeckt und der pflegerische Bedarf würde über die Pflegeversicherung finanziert.

Wie wird der Unterhalt bemessen?

Der Unterhaltsbedarf der Eltern richtet sich nach deren Bedürfnissen. Soweit sie diese allerdings nicht selbst finanzieren können, müssen sie ein Pflegeheim aus dem unteren Kostensegment auswählen. Auch müssen Kinder nicht eine vorsorgliche Unterbringung im Altenheim finanzieren. Solange alte Menschen noch autonom in einer eigenen Wohnung leben können, so lange können sie nicht eine kostentreibende andere Wohn- und Lebensform wählen. Dies gebietet die rechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der unterhaltpflichtigen Kinder. Das Vorliegen einer Pflegestufe signalisiert in der Regel, dass ein autonomes Leben nicht mehr möglich ist.

Gibt es eine Altersgrenze nach oben bzw. nach unten, ab der Kinder für ihre Eltern Unterhalt zahlen müssen?

Nein. Die Unterhaltspflicht der Kinder ist einkommens- nicht altersabhängig.

Gibt es eine finanzielle und/oder zeitliche Obergrenze für den Elternunterhalt?

Die finanzielle Obergrenze wird durch den nicht aus Eigeneinkommen, Vermögen und Versicherungsleistungen gedeckten Bedarf der Eltern und die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit der Kinder definiert. Alleinlebende Unterhaltspflichtige haben einen Selbstbehalt von 1.800 € zuzüglich der Hälfte des darüber hinausgehenden Einkommens, Paare haben einen Selbstbehalt von 3.240 € zuzüglich 45 Prozent des darüber hinausgehenden Einkommens. Da das Einkommen der Kinder recht großzügig um bestehende Schuldverbindlichkeiten, vorrangige Unterhaltspflichten und auch Altersvorsorgerückstellungen zu bereinigen ist, braucht niemand zu befürchten, durch den Elternunterhalt ruiniert zu werden.

Sind auch die Schwiegerkinder verpflichtet zu zahlen?

Nein. Da Schwiegerkinder nicht in gerader Linie mit den Schwiegereltern verwandt sind, sind sie nicht unterhaltspflichtig. Ihr Einkommen hat nur mittelbar Einfluss auf die Leistungsfähigkeit des Kindes. Hat dieses aber kein Einkommen, würde auch hohes Einkommen des Schwiegerkindes nicht zu unterhaltsrechtlicher Leistungsfähigkeit führen. Die in diesen Fällen bestehende ‚Taschengeldhaftung‘ des Kindes wird von den Sozialhilfeträgern zu Recht meist nicht geltend gemacht.

Auch wenn die Ehepartner eine Gütergemeinschaft vereinbart haben?

Die Wahl des Güterstandes hat keinerlei Auswirkungen auf die durch die Ehe zwischen den Ehegatten bestehende Unterhaltspflicht. Die Gütertrennung ermöglicht aber dem Kind eine höhere Unterhaltszahlung, wenn und nur wenn das Einkommen des Schwiegerkindes höher als das Einkommen des Kindes ist. Ein schlechter verdienendes Schwiegerkind, senkt die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit des Kindes ab.

Müssen die Kinder auch dann Unterhalt zahlen, wenn die Eltern oder das Elternteil zwar ausreichend Vermögen hat, dieses aber nicht liquide ist?

Solche Fälle sind praktisch schwer vorstellbar. Eltern müssen vor unterhaltsrechtlicher Inanspruchnahme von Sozialhilfeträgern oder Kindern ihr gesamtes Vermögen bis auf einen Rest von 2.600 € verbrauchen.Immer wieder gibt es auch Familien, in denen die Kinder – aus welchem Grund auch immer – keinen Kontakt mehr zu den eigenen Eltern haben. Welche Gründe gibt es, dass kein Unterhalt gezahlt werden muss.

Kontaktlosigkeit ist kein sogenannter Verwirkungsgrund. Das Familienrecht will familiären Zusammenhalt fördern und Kontaktlosigkeit nicht prämieren. Ist aber die Kontaktlosigkeit Ausdruck einer tiefen Störung des Eltern-Kind-Verhältnisses, weil es in Kindheit oder Jugend zur Verletzung der Sorgeverpflichtung, zu Gewalt, körperlichem, sexuellem oder seelischem Missbrauch gekommen ist, kann ein Unterhaltsanspruch verwirkt sein. Auch wenn die Pflegebedürftigkeit des Elternteils durch Drogen-, Medikamenten- oder Alkoholmissbrauch verursacht ist, kann sich ein Kind erfolgreich gegen die unterhaltsrechtliche Heranziehung wehren.

Wer legt fest, wie viel bezahlt werden muss?

Wenn es nicht zu einer Einigung mit dem Sozialhilfeträger kommt, entscheidet das Familiengericht. Keinesfalls sollten Kinder eine Forderung des Sozialhilfeträgers unbesehen akzeptieren. Fast immer bergen diese Korrekturpotential zu Gunsten der Kinder. Meist gelingt es auch, zwischen Sozialhilfeträger und den unterhaltspflichtigen Kindern eine Einigung herbeizuführen. Streitige Gerichtsverfahren sind angesichts der hohen Fallzahlen relativ selten.

Die Zahlungsaufforderung liegt vor. Was raten Sie Ihren Klienten? Zahlen oder überprüfen lassen?

Auch wenn man es mir als berufspflegerisches Interesse auslegen sollte, rate ich allen, eine Unterhaltsforderung der Sozialhilfeträger auf Richtigkeit prüfen zu lassen. Die Anwaltschaft berechnet dafür in aller Regel nicht mehr als 190 bis 250 € (zzgl. MWSt). Wenn man bedenkt, dass eine Unterhaltspflicht oftmals über viele Jahre besteht, ist die Kosten-Nutzen-Relation einer solchen Prüfung gut. Nur sehr gut verdienende Kinder können sich bei relativ kleinen Forderungen der Sozialhilfeträger keine Hoffnung auf Erleichterung machen. Für Mitarbeiter deren Arbeitgeber einen Rahmenvertrag mit famPLUS abgeschlossen haben, werden die Kosten sogar von famPLUS übernommen.

Wir beraten pro Jahr zirka 800 Elternunterhaltsfälle. Fast immer können Elternunterhaltsforderungen verringert werden. In vielen Fällen wird gar kein Unterhalt geschuldet. Deswegen kann man auch erst einmal eine Unterhaltsforderung des Sozialhilfeträgers abwarten.

Ich weiß nur, dass sich viele Betroffene große Sorgen im Zusammenhang mit dem Elternunterhalt machen. Diese Sorgen sind meist unbegründet. In diesen Fällen beruhigt eine qualifizierte Beratung ungemein.

In jedem Fall sollten die Ratsuchenden aber bei der Auswahl des Beraters oder der Beraterin darauf achten, dass dieser Erfahrung mit Elternunterhalt hat. Nicht jeder Fachanwalt für Familienrecht hat dies. Bei der Terminvereinbarung danach zu fragen liegt daher nicht nur im Interesse des Ratsuchenden sondern auch des Anwalts, der ja schließlich auch Interesse daran hat, seinen Mandanten hochqualifizierten Rat zu erteilen und sie nicht zu enttäuschen.

 

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