Die Liste an Unterstützenden ist lang - 35 Akteuren der Zivilgesellschaft und Wirtschaft fordern in einem Offenen Brief an die Bundesregierung, dass sie die Familienstartzeit endlich umzusetzen und im Mutterschutzgesetz verankern. Auch das Sozialunternehmen famPLUS hat den Brief unterzeichnet und unterstützt das Vorhaben. Was es damit auf sich hat, erklärt Dr. Enni Vaahtoranta im Interview. Sie ist Psychologin und Leiterin des Teams Elternberatung & Kinderbetreuung bei famPLUS.
Dr. Vaahtoranta, famPLUS unterstützt den Offenen Brief. Was genau fordert dieser?
Dieser Brief wurde von fünf Verbänden initiiert und von weiteren 30 Akteuren unterzeichnet. Sie alle setzen sich dafür ein, dass die Familienstartzeit von der Bundesregierung noch in diesem Jahr umgesetzt wird. Dabei handelt es sich nicht um eine neue Idee, sondern die Regierung hat die Familienstartzeit ja im Koalitionsvertrag als Gesetzesvorlagen festgehalten. Damit folgt sie übrigens einer EU-Richtlinie zur besseren Vereinbarkeit, die in vielen EU-Ländern längst umgesetzt ist. In Finnland erhalten Väter nach der Geburt neun Wochen bezahlten Sonderurlaub, in Spanien vier. Nun ist schon viel Wartezeit vergangen, es wird Zeit, dass die Bundesregierung die Familienstartzeit umsetzt.
Worum handelt es sich bei der Familienstartzeit?
Das ist ein zweiwöchiger Sonderurlaub für Väter und zweite Elternteile nach der Geburt eines Kindes. Alleinerziehende können eine Vertrauensperson benennen.
Was unterscheidet die Familienstartzeit von der Elternzeit?
Die Elternzeitregelung lässt sich flexibel auslegen. Väter und zweite Elternteile können direkt nach der Geburt Elternzeit nehmen. Aber die Statistik zeigt, dass es viele nicht tun. Das hat auch strukturelle und finanzielle Gründe. Die Familienstartzeit soll eine bezahlte Freistellung sein - somit wird Familien ein gemeinsamer Start ermöglicht und nicht nur jenen, die es sich finanziell oder beruflich ermöglichen können.
Warum unterstützt famPLUS den Offenen Brief und das Vorhaben?
Wir unterstützen diesen Brief, weil unser Ziel als Unternehmen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist. Mit meinem Team berate ich viele Mütter und Väter rund um Familie und Erziehung. Dabei sehen wir, wie stark Familien unter Druck stehen, finanziell und strukturell. Die Familiengründung ist mit Hürden und Herausforderungen verbunden, weil viele Paare heutzutage keine Familien in der Nähe haben, die sie in den ersten Wochen mit Baby unterstützen. Ich sehe es auch als eine Aufgabe der Gesellschaft, dafür zu sorgen, dass es Strukturen gibt, die es ermöglichen, eine Familie zu gründen.
Die Familienstartzeit bezieht sich ja konkret auf die ersten beiden Wochen. Weshalb sind die so wichtig?
Diese Wochenbettzeit ist eine extrem sensible Phase. Wir haben als Gesellschaft gar nicht mehr im Bewusstsein, wieviel Unterstützung Familien in dieser Zeit benötigen. Zum einen ist eine Geburt körperlich und emotional anstrengend und in den ersten Tagen und Wochen brauchen Mütter Zeit, um sich zu erholen. Zum anderen ist das Baby da und hat seine ganz eigenen Bedürfnisse, die den gewohnten Rhythmus verändern. Familien brauchen Zeit, um sich aufeinander einzustellen. Und natürlich, falls noch Geschwister in der Familie sind, brauchen diese Betreuung und Fürsorge. Die Familienstartzeit würde die Mütter entlasten, weil sie das Neugeborene nicht mehr alleine versorgen müssen.
Wie würde sich die Familienstartzeit auf die Väter auswirken?
Sie würde die aktive Rolle der Väter bei der Betreuung und Erziehung der Kinder stärken - und zwar von Anfang an. Ich sehe das als Chance. Oft heißt es ja, dass Väter in den ersten Wochen nichts machen könnten, gerade wenn Mütter stillen und dies anfangs stark im Fokus steht. Aber das ist ein Vorurteil. Natürlich können Väter ganz viel tun, mal abgesehen vom Stillen. Schon in den ersten Wochen viel Zeit miteinander zu verbringen, ermöglicht ihnen eine enge Bindung aufzubauen. Studien aus anderen Ländern zeigen, dass dies auch einen langfristigen positiven Effekt haben kann.
Welche langfristigen Effekte können sich denn zeigen?
So zeigen Untersuchungen aus Schweden, wo Väter Sonderurlaub nach der Geburt bekommen und deutlich mehr Elternzeit nutzen, dass die Scheidungsrate in den Familien niedriger ist, in denen der Vater Elternzeit genommen hat. Mögliche Gründe sind, dass Männer sich besser in ihre Partnerin einfühlen können und Konflikte besser bewältigt werden können. Die Familienstartzeit legt einen Grundstein, dass die Väter ihre Vaterrolle aktiver wahrnehmen. Sich von Anfang an um das Baby zu kümmern, kann Männer auch in ihrem Selbstbewusstsein als Vater stärken. Eine Untersuchung aus Großbritannien zeigte, dass Väter, die Elternzeit nahmen auch nach Ablauf dieser, ihren Kindern mehr Zeit widmeten.
Auch das Thema Vereinbarkeit spielt da ja stark hinein, oder?
Auch in der Beratung merken wir immer wieder, wie schwer es für Familien ist, Arbeit und Familie miteinander zu vereinbaren. Die Betreuungsstrukturen sind in Deutschland unzureichend, Familien sind auf sich allein gestellt und noch immer ist die Aufteilung traditionell. Die Familienstartzeit gibt einen wichtigen Impuls für eine partnerschaftliche Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit. Wir als famPLUS unterstützen Maßnahmen, die die Vereinbarkeit erleichtern und dazu zählt auch dieses Vorhaben.
Die Mütter würden profitieren, die Väter auch - und was ist mit den Kindern?
Für das Kind hat es nur Vorteile. Lange dachte man, dass ein Baby nur eine enge Bindungsperson braucht. Aber mittlerweile weiß man, dass dies ein Mythos ist. Babys können zu mehreren Personen eine enge Bindung aufbauen. Es ist für ein Kind von Vorteil, wenn es mehrere enge Bezugspersonen hat. Und dies wirkt sich ja auch langfristig positiv auf die Entwicklung von Kindern aus.
Bis die Familienstartzeit startet, könnte noch einiges an Zeit vergehen. Welchen Rat können Sie werdenden Müttern und Vätern zum Thema Vereinbarkeit geben?
Das ist ein schwieriges Thema, auch weil die Betreuungsstrukturen momentan so unzureichend sind. Eltern können sich aktuell leider nur bedingt auf die Kinderbetreuung verlassen. Ich rate dazu, sich so früh wie möglich - am besten schon mit dem Kinderwunsch damit auseinandersetzen, wer welche Zeiten übernimmt. Aktuell ist es wichtiger denn je, sich ein Netzwerk aus Helfenden und Unterstützenden aufzubauen, unabhängig von der Kinderbetreuung, und sich vielleicht mit anderen Eltern auch zusammenzuschließen. Und für das Wochenbett empfehle ich, sich als Familie genug Zeit einzuplanen und dass Väter bzw. das andere Elternteil Elternzeit oder Urlaub dafür nutzen. Und noch ein letzter Tipp: Man sollte sich nicht scheuen, Hilfe zu suchen und anzunehmen. Wir Menschen sind nicht darauf ausgelegt, als Kleinfamilie alles alleine zu bewältigen und in herausfordernden Phasen brauchen wir andere Menschen ganz besonders.
Interview: Peggy Elfmann