Ist ADHS eine Katastrophe oder könnte es sogar eine Chance sein?
Kinder mit ADHS haben allgemein keinen guten Ruf: Sie seien Nervensägen und Systemsprenger, die sich nicht an Regeln halten könnten und sich damit selbst und ihren Eltern das Leben schwer machten. Natürlich müssten auch Lehrer und Mitschüler unter dem Wirbelwind leiden.
In Ratgebern über ADHS lesen wir häufig, dass Kinder mit ADHS den „normalen“ Kindern gegenüber benachteiligt wären. Weil sie sich nicht konzentrieren könnten und sich durch ihre Impulsivität in Schwierigkeiten brächten, seien sie nicht so erfolgreich, wie sie es von ihrem Potential her sein könnten.
Zudem liest man oft, dass Kinder und Jugendliche mit ADHS häufiger in Unfälle verwickelt und auch „Drogenkarrieren“ keine Seltenheit seien.
An all dem ist etwas dran, und es klingt schrecklich.
Gleichzeitig gibt es viele Erfahrungsberichte, dass Kinder mit ADHS einen erfolgreichen - wenn auch eigenwilligen - Weg nehmen können. Eine ADHS-Diagnose bedeutet nicht das Ende der Welt! Im Gegenteil, denn wenn Eltern und die wichtigen Bezugspersonen erkennen, welches Potenzial das Kind besitzt, hat es beste Chancen, ein großartiger, erfolgreicher und glücklicher Mensch zu werden.
Worin unterscheiden sich Kinder mit ADHS von anderen Kindern?
Kinder mit ADHS fallen auf, denn sie machen sich bemerkbar durch intensive Gefühlsausbrüche, lautstarke Willensbekundungen, Beharrlichkeit, die an Sturheit grenzt und ihr lebhaftes Temperament. Spätestens in der Schule kommen regelmäßig Rückmeldungen, dass sich das Kind nicht einfügen könne und schwer zu bändigen sei.
Sind diese Kinder aber gestört oder sogar krank, weil sie ihre Eltern und andere Menschen besonders herausfordern? Als ich als Vierfachmutter von Kindern mit ADHS auf der Suche nach einer befriedigenden Antwort war, befragte ich Kinderärzte, Wissenschaftler und Therapeuten und arbeitete mich durch Stapel von Büchern rund um ADHS.
Schon damals fiel es mir schwer, zu akzeptieren, dass Kinder, die nicht so funktionieren, wie es sich Erwachsene wünschten, schnell das Etikett ADHS aufgeklebt bekommen. Und gleichzeitig nicht die Unterstützung erhielten, die sie dringend bräuchten.
Was ist ADHS?
Die Ursachen von ADHS
Die Ursachen von ADHS sind multifaktoriell. Es kommen also mehrere Faktoren zusammen, wenn ein Kind das für ADHS typische Verhalten zeigt: Genetik, Veranlagung, das Umfeld, Erfahrungen, erhöhter Konsum von elektronischen Medien und auch die Ernährung. All diese Faktoren spielen eine Rolle.
Die Hauptsymptome von ADHS
Sehen wir uns zunächst die klassischen Symptome von ADHS aus dem ICD10 (das wichtigste, weltweit anerkannte Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen) an.
ADHS = Aufmerksamkeitsdefizit mit Hyperaktivität
Es geht also um Störungen der Aufmerksamkeit in Verbindung mit Hyperaktivität.
Aufmerksamkeitsdefizit: Tätigkeiten werden abrupt abgebrochen und nicht zu Ende geführt; geringe Konzentrationsfähigkeit und hochgradige Ablenkbarkeit
Impulsivität: Mangelnde Impulskontrolle und niedrige Frustrationstoleranz, Handlungen werden nicht bedacht
Hyperaktivität: übermäßige Rastlosigkeit, Herumlaufen, nicht Stillsitzen können, ständiges lautes und schnelles Sprechen
Die ADHS-Diagnose
Die ADHS-Diagnose kann uns erleichtern, denn endlich wissen wir, was mit unserem Kind los ist! Nicht unsere Erziehung ist die Ursache für die Schwierigkeiten, die wir täglich mit unserem Kind erleben, sondern es leidet unter einer psychiatrischen Störung.
Wenn wir wissen, dass unser Kind ADHS hat, können wir sein Verhalten besser einordnen und verständnisvoller reagieren. Wenn wir von einem Kinderarzt oder Psychologen, der sich mit ADHS auskennt und ganzheitlich denkt, beraten werden, kann jetzt ein auf die Bedürfnisse des Kindes abgestimmter Behandlungsplan beginnen. Dazu gehören fast immer die Kognitive Verhaltenstherapie, Bewegungstherapie und ein Elterntraining, in dem Eltern lernen, wie sie mit den Herausforderungen von ADHS umgehen können. Bei schweren Formen einer ADHS werden, um schnelle Erleichterung zu erzielen und eine Therapie erst möglich zu machen, häufig Medikamente - Stimulanzien - verschrieben.
Stärken von Menschen mit ADHS
Neben den beschriebenen Eigenheiten und Herausforderungen können die meisten Kinder und auch Erwachsene mit ADHS besondere Stärken vorweisen. Stärken, die sie sich bewusst machen sollten und auf die sie stolz sein können. Sie gehören zum Potential, das diese Menschen sehr erfolgreich machen kann.
- Hyperfokus = Fähigkeit zu Flow, erhöhte Konzentrationsfähigkeit
- Hochsensibilität = hohe Sinnes- und Wahrnehmungsfähigkeit
- Emotionalität = ausgeprägte Empathiefähigkeit
- Verhandlungsgeschick= gute Verhandlungsfertigkeiten im geschäftlichen und alltäglichen Umfeld
- Fürsorglichkeit= Ausgeprägtes Mitgefühl sowie Bedürfnis zu helfen
- Kreativität= häufig künstlerische Begabung
- Aufgeschlossenheit= fühlt sich nicht an Normen gebunden, geht neue Wege
- Durchsetzungsvermögen= oft führungsstark
- Risikobereitschaft= Mut und keine Angst vor unkonventionellen Wegen
Eine tolle Beziehung zum ADHS-Kind aufbauen:
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Bieten Sie Ihrem Kind einen sicheren Hafen, indem Sie es annehmen, so wie es ist. Mit all seinen Schwächen und Stärken.
- Seien Sie klar in Ihren Erwartungen und konsequent, wenn Ihr Kind gegen Regeln verstößt. Denn dies vermittelt deinem Kind Sicherheit.
- Erleben Sie jeden Tag schöne Momente mit Ihrem Kind.
- Machen Sie es sich gemeinsam gemütlich: Ein Buch lesen, Basteln, Kochen, Gartenarbeit, Spielen, einen Film schauen ... Was immer Ihnen Freude macht. Planen Sie diese Zeit unbedingt fest in Ihren Tagesablauf ein!
Das Wichtigste zum Schluss:
Als Eltern von einem ADHS-Kind wissen wir oft nicht, wo uns der Kopf steht, und deshalb suchen wir vor allem schnelle Lösungen.
Das verstehe ich bestens, dennoch bitte ich Sie um Geduld. Denn ein ADHS-Kind beim Großwerden zu begleiten, ist Schwerstarbeit und nicht zu vergleichen mit der Erziehung eines „normalen“ Kindes. Sie sind der wichtigste Mensch im Leben Ihres Kindes. Deshalb ist es so wichtig, dass Sie gut für sich sorgen, damit Sie bei Kräften bleiben und auch stürmischen Situationen den Wind aus den Segeln nehmen können.
von Heike Hahn
Quellen
Hahn, H. (2021). Mein Kind hat ADHS. Wie ihr im Alltag klarkommt und gemeinsam glücklich werdet. Humboldt Verlag, 1. Auflage.
Sheedy Kurcinka, M. (2020). Wie anstrengende Kinder zu großartigen Erwachsenen werden. Der Erziehungsratgeber für besonders geforderte Eltern. mvg Verlag, 6. Auflage, München.
Weltgesundheitsorganisation (2019). Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen. Dilling, H und Freyberger (Hrsg.). Hogrefe Verlagsgruppe, 9. Auflage.
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