Schöne, schwere Weihnachtszeit?

Schöne, schwere Weihnachtszeit?

„Ich freue mich auf Weihnachten!“, ruft meine kleine Tochter und lacht mich freudestrahlend an. Normalerweise streiten meine drei Kinder gerne mal, aber in ihrer Vorfreude auf Weihnachten, da sind sie sich absolut einig. Ich jedoch blicke diesem Fest mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. Mit sorgenvollen Gedanken darüber, wie wir gut feiern können, damit meine Mama es auch mit ihrer Alzheimererkrankung schön hat und dass ich nicht wieder so viel Stress und Anspannung erlebe.

Ein Rückblick auf die vergangenen Jahre erinnert mich daran, dass meine Mama eigentlich immer schöne Weihnachten hatte, auch wenn ihr vermutlich gar nicht bewusst war, weshalb wir zusammengekommen waren und was wir gefeiert haben. Aber sie hat die Nähe genossen, hat gut gegessen, getrunken und gelacht. Wenn ich ehrlich bin, dann muss ich mir um meine Mama keine Sorgen machen, sondern vor allem dafür sorgen, dass wir pflegenden Angehörigen gut durch diese Zeit kommen. Der Rückblick zeigt, dass die Feiertage bislang eine ordentliche Mehrfachbelastung für mich waren: da sind die Kinder, da ist meine pflegebedürftige Mama, da sind Geschenke, die besorgt werden wollen, da ist der Haushalt und mein Job ebenso. Für Ruhe und Freude bleibt in meiner Vorweihnachts- und Weihnachtszeit kaum Zeit. Das muss sich doch irgendwie ändern lassen, denke ich. Was kann ich für dieses Weihnachtsfest für mich ändern, damit es nicht so schwer und stressig, sondern schön wird?

1. Es wird anders als früher

Weihnachten – das ist auch eine Zeit der großen Erwartungen und Wünsche. Während sich die Kinder auf Geschenke freuen und sich Spielzeuge, Bücher oder Videospiele wünschen, so erwarte ich Harmonie und Nähe. Eine traute Familienidylle zusammen mit der ganzen Familie, so wie es in der Werbung als normal suggeriert wird, das stelle ich mir für die Weihnachtszeit vor. Ganz klar, an diesem Bild kann ich nur scheitern. Zum einen ist meine Mama nicht diese Bilderbuch-Oma ist, die mit ihren Enkelinnen spielt. Da ist viel Liebe, aber meine Mama hat nun einmal eine Alzheimererkrankung im fortgeschrittenen Stadium. Sich an Bilderbuch-Illusionen zu orientieren, kann nur für schlechte Laune und Enttäuschung sorgen.

Ich erinnere mich an ein Weihnachten vor einigen Jahren. Ich hatte meiner Mama ein Geschenk mitgebracht und wollte es mit ihr aufmachen. Ich hoffte so sehr, dass sie sich darüber freuen würde und dass wir beide einen schönen Moment erleben würden. Es war erst später Nachmittag, doch sie wirkte müde. Ich setzte mich neben sie auf den Sessel und hielt ihr das Geschenk hin. Sie schaute es nicht einmal an. Dann fing ich an, es für sie auszuwickeln, wollte es ihr zeigen und hoffte, ihr damit ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Aber sie beachtete weder mich noch das Geschenk – und ich erinnere mich, dass dies einfach weh tat. Ich war enttäuscht, weil ich in meinem Inneren gehofft hatte, es würde wie früher sein.

Mein erster Vorsatz für dieses Jahr: ohne große Erwartungen an dieses Fest gehen und auch von meiner Mama nichts erwarten, was sie durch ihre Krankheit gar nicht leisten kann. Die Demenz macht auch an Weihnachten keine Pause. Wenn ich erwarte, dass wir am Geschenke auspacken so viel Freude haben werden wie früher, dann wird mich das vor allem traurig machen.

2. Es muss nicht perfekt sein

Früher war Weihnachten eine Zeit der Gänse- und Entenbraten im Hause meiner Familie. Meine Eltern verbrachten sehr viel Zeit mit den Vorbereitungen und luden die ganze Familie zum Festessen am ersten Feiertag ein. Lange war noch Tradition, dass wir uns an den Feiertagen bei ihnen trafen und natürlich sollte es einen Braten geben. „Das gehört doch dazu“, sagt mein Papa gern und stand den ganzen Tag in der Küche, um sich um die Gans zu kümmern. Er wollte es perfekt haben und auch, wenn ich überhaupt keine Gans mag, so mochte ich dieses Ritual. Die Gäste blieben bis spät am Abend und es waren schöne Stunden. Irgendwie perfekt, zumindest scheint es so in meiner Erinnerung.

Ein großes Menü zaubern, seine Lieben verwöhnen und alles soll bitte schön hergerichtet sein, so waren die Feiertage bei uns. Und als Mama immer weniger im Haushalt machen konnte, so haben wir versucht, das zu übernehmen und diese perfekten Weihnachten zu kreieren. Ich wollte, dass meine Kinder das perfekte Weihnachten haben, ich wollte, dass meine Eltern zufrieden sind, weil es „richtige Weihnachten“ sind – und verbrachte letztlich die meiste Zeit gestresst zwischen Küche und Esszimmer. Mein Vorsatz für dieses Jahr: Es muss nicht perfekt sein! Bevor es mir zu viel wird, werden wir mittags eine Suppe oder Nudeln mit Lachs-Sahne-Soße essen. Das mag jeder und es geht schneller. Und ja, wir dürfen am ersten Feiertag Pizza bestellen. Dem Weihnachts-Perfektionismus wird dieses Jahr abgeschworen, das ist mein Ziel. Und: Es mir leichter machen.

Meiner Mama ist es nicht wichtig, dass sie das perfekte Weihnachten erlebt, denn wenn damit eine gestresste Tochter und ein gestresster Ehemann einhergehen, hat auch sie gar nichts davon. Unsere Anspannung und unser Stress - der würde sich definitiv auf sie übertragen. Sie kann zwar nicht mehr mit Worten kommunizieren, aber unsere Gefühle, die spürt sie sehr feinfühlig, das merke ich immer wieder in den verschiedensten Situationen. Was meiner Mama mit Demenz guttut: Ruhe und Nähe, Musik und Lachen – und das kann ich nur bieten, wenn ich entspannt bin und dem Weihnachtsstress aus dem Weg gehe.

3. Es darf ruhiger sein

Früher hatten wir an den Feiertagen immer ein ziemliches volles Haus und an den Feiertagen versammelten sich alle Familienmitglieder bei meinen Eltern. In den vergangenen Jahren ist es bei meinen deutlich ruhiger geworden, viele Bekannte und Freunde haben sich zurückgezogen. Meine Eltern freuen sich an den Feiertagen über Besuch und ganz besonders von den Enkelkindern.

Was wir aber schon kurze Zeit nach Mamas Alzheimer-Diagnose gemerkt haben: Große Runden sind oft anstrengend für sie. Anfangs zeigte sich das, indem sie dann sehr ruhig wurde. Kommunikation ist für Menschen mit Demenz schwierig und wird es zusehends schwieriger. Wenn viele Menschen aufeinandertrafen, so fiel es meiner Mama schwer, den Gesprächen zur folgen und sich zu beteiligen. Und auch jetzt, wo sie nicht mehr aktiv teilhaben kann, aber dennoch Teil ist, sind größere Gruppen eher anstrengend.

Von daher: Wir werden uns wieder zeitlich aufteilen, so wie schon in den vergangenen Jahren. Nicht alle kommen am gleichen Tag und zum gleichen Zeitpunkt. Meine Mama hat viel mehr davon, wenn sie sich auf eine oder zwei Personen einlassen kann, als wenn zehn Menschen in der Runde sitzen. Und diese Ruhe tut auch uns gut. Weniger Besuch ermöglicht es mir, kleine Auszeiten zu nehmen, und wenn das eine halbe Stunde in einem zu Buch lesen ist. Es wird mir guttun und dafür sorgen, dass ich mehr Energie habe, um mich um meine Mama zu kümmern.

4. Es ist okay, wenn es (auch) traurig wird

Gerade, wenn es an den Feiertagen ruhiger wird und tatsächlich Zeit für Besinnlichkeit frei wird, wird auch noch einmal sichtbar, dass sich das Leben verändert hat und das Pflegen eine große Rolle spielt. Dass der liebe Angehörige eine fortschreitende Erkrankung hat und diese Demenz sich nicht heilen lässt. Da kommen Erinnerungen an frühere Weihnachten hoch und die schönen Momente, als Mama gesund war. Und klar, das macht traurig – und das ist okay.

Traurig sein und Abschied nehmen gehört zu einer Demenzerkrankung dazu, immer wieder und über einen langen Zeitraum. Dieses Abschiednehmen wird auch als „uneindeutiger Verlust“ bezeichnet und damit umzugehen ist nun mal eine Herausforderung für Angehörige. Kommt noch die Jahres-End-Melancholie dazu, so kann es passieren, dass man an Weihnachten traurig(er) wird. Ich denke viel an Vergangenes und werde auch traurig, weil manche Dinge nun mal nicht mehr so sind, wie sie sie waren und wie ich sie mir wünschen würde.

Mein Vorsatz: Meine Gefühle zulassen. Diese Gefühle gehören dazu, wenn man einen nahen Menschen mit Demenz begleitet. Es ist ein Abschied auf Raten und immer wieder muss man sich von Dingen verabschieden. Das anzunehmen und die Gefühle zu akzeptieren, hilft meist mehr als sie kleinzureden oder zu verstecken. In solchen Momenten hilft es mir, diese traurigen Gedanken aufzuschreiben oder einer Freundin zu erzählen. Und meist merke ich dann: Wenn ich es teile oder auf Papier bringe, wird es schon ein wenig leichter.

5. Es hilft, wenn das Netzwerk (weiterhin) funktioniert

Über die Feiertage sind die meisten Einrichtungen geschlossen, so auch die Tagespflege meiner Mama. Eigentlich kein Problem und auch mein Papa genießt es, wenn Mama zu Hause ist und er sich nicht an den Zeitplan der Einrichtung halten muss. Allerdings bringt es den gewohnten Ablauf ein wenig durcheinander und plötzlich fehlen auch die Auszeiten von der Pflege. Für meinen Papa ist die Betreuung und Pflege meiner Mama ein 24-Stunden-Job, wie für viele pflegende Angehörige. In Umfragen und Untersuchungen zeigt sich immer wieder, wieviel Stress pflegende Angehörige erleben und wie hoch belastet sie sind, vor allem Angehörige von Menschen mit Demenz.

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Pausen und Auszeiten sind aber wichtig, um ausreichend Energie für das Kümmern und Pflegen zu haben. Damit dies auch in der Weihnachtszeit möglich ist, tut es gut, weiterhin Unterstützungs- und Hilfsangebote zu nutzen, sodass der Pflegedienst weiterhin kommt und man Alternativen findet für Angebote, die in der Zeit nicht stattfinden können.

Es hilft, wenn das Netzwerk weiterhin funktioniert und nicht ein einziger pflegender Angehöriger die Last schultert. Hier können die Weihnachtsfeiertage auch die Möglichkeit sein, mal etwas Neues auszuprobieren, zum Beispiel die Nachbarin, die gerne unterstützen möchte, direkt anzusprechen, ob sie den pflegebedürftigen Angehörigen zum Spaziergang mitnimmt oder sie zum Plätzchenessen einlädt. Auch Familienangehörige haben dann mitunter mehr Zeit, die Kinder sind zu Hause und haben vielleicht Lust, mit Oma und Opa Zeit zu verbringen.

Ich denke häufig, ich müsste das alles allein schaffen. Aber Pflegen und Sorgen ist nichts, was man allein kann, auch nicht an Weihnachten - und es tut gut, sich Unterstützer zu suchen und auf sich selbst zu achten.

von Peggy Elfmann (zuletzt aktualisiert am: 19.12.22)

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