Streiten ist ganz normal: Warum Geschwister streiten und wie Eltern helfen können
„Du bist doof!“, „Lass mich in Ruhe!“, „Ich will jetzt aber das Spielzeug!“, so oder so ähnlich hört es sich tagtäglich an, wenn Geschwister sich zanken. Geschwister streiten viel und das ist ganz natürlich, doch manchmal streiten sie sich so oft, dass viele Eltern sich fragen, ob das noch normal ist. Keine Sorge: Ja, ist es! Laut Studien streiten sich Geschwister je nach Alter sogar vier bis sechs Mal in der Stunde. Konflikte zwischen Geschwistern gehören zum Familienalltag dazu und haben oft erstaunlich simple Gründe.
Warum streiten Kinder?
Wenn Geschwister sich streiten, geht es dabei meistens um alles, was ungerecht sein könnte: Wer kriegt den Lieblingsbecher? Wer hat die größere Eiskugel? Wer darf länger mit dem Spielzeug spielen? Wer kann schneller rennen? Diese Situationen mögen auf Sie als Eltern oft banal wirken, doch im Kindesalter werden Geschwister immer wieder zu Rivalen. Für Kinder ist es dann besonders wichtig, sich gegen den anderen durchzusetzen und sich zu behaupten. Dabei spielt auch das Alter eine Rolle. Jüngeren Kindern geht es oft tatsächlich nur darum, Besitz zu verteidigen oder zu ergattern, während ältere Kinder über Streitereien in den allermeisten Fällen die Aufmerksamkeit der Eltern erlangen wollen. Aus diesem Grund werden Kinder beim Streiten auch schnell laut, denn sie möchten ihre Eltern auf sich aufmerksam machen und sehen, auf wessen Seite diese stehen. Besonders wenn Eltern sich trennen oder scheiden lassen, suchen Kinder verstärkt ihre Aufmerksamkeit und fühlen sich schnell vernachlässigt.
Kinder müssen in der Regel zu Hause alles mit ihren Geschwistern teilen und verbringen – vor allem vor der Zeit im Kindergarten – noch sehr viel Zeit miteinander, weshalb sich häufiger Konfliktherde bilden. Da Geschwister sich gut kennen, wissen sie auch am besten, was den anderen auf die Palme bringt, deshalb können die Auseinandersetzungen zwischen Geschwistern häufig sehr intensiv sein, sowohl verbal als auch physisch. Rache, Frust, Wut und Eifersucht sind dabei überwiegend die auslösenden Emotionen.
Für viele Eltern sind diese intensiven Geschwisterkonflikte eine große Herausforderung, denn gerade, wenn es um die eigenen Kinder geht, besteht ein großes Harmoniebedürfnis. Die Familie soll möglichst schnell wieder im Einklang sein und den Kindern soll es gut gehen. Eltern fühlen sich in diesen Situationen oft hilflos und überfordert, sind gereizt und haben das Gefühl, zwischen den Fronten zu stehen. Sie wissen nicht, ob und wann sie eingreifen sollen, ob sie ihre Kinder lieber eigenständig den Streit klären lassen sollten und wie viel sie überhaupt „ertragen“ müssen.
Was können Eltern tun, wenn Geschwister sich streiten?
Grundsätzlich gilt bei Streitereien zwischen Kindern: Sobald ein Kind verletzt wird, sollten Sie sofort dazwischengehen und die Kinder trennen. Auch wenn ein Kind ständig dem anderen unterliegt und unterdrückt wird, sollten Sie in jedem Fall eingreifen. In allen anderen Fällen können Sie immer erst einmal fragen, ob Ihre Kinder Hilfe brauchen, wenn zum Beispiel viel herumgeschrien wird. Kinder können meistens schon ganz gut selbst einschätzen, wann sie Unterstützung brauchen. Eltern dürfen aber keinesfalls zu Schiedsrichtern im Geschwisterstreit werden und niemals Vergleiche zwischen beiden Kindern anstellen. Auch sollten Sie keine Entscheidung für Ihre Kinder treffen oder versuchen, den Streit mit Fragen wie „Wer war das?“ oder „Wer hat angefangen?“ unter Kontrolle zu bringen, denn sonst lernen Ihre Kinder langfristig nicht, wie sie Konflikte selbst lösen. Für Erwachsene ist es ganz normal, sich nach einem Streit wieder zu versöhnen oder sich auszusprechen, doch Kinder wissen oft noch gar nicht, wie genau das funktioniert. Sie müssen Konfliktlösung erst lernen und verstehen, wie man Impulse kontrolliert und sich in das Gegenüber hineinversetzt.
Wenn Sie Ihre Kinder streiten sehen, bekommen Sie vermutlich automatisch den Impuls, den „Schwächeren“ der beiden zu schützen und sich auf seine Seite zu stellen, doch das kann wiederum zu noch mehr Konflikten führen, denn dadurch schenken Sie unweigerlich einem der beiden Kinder mehr Aufmerksamkeit. Genau das gilt es aber zu vermeiden. Sie sollten in erster Linie als Mediator und Vermittler für Ihre Kinder fungieren. Vermeiden Sie Sätze wie „Du bist der Ältere, du musst vernünftig sein“ oder „In deinem Alter solltest du das wissen“, und versuchen Sie nicht, einen Schuldigen zu finden, sondern sprechen Sie ganz offen mit Ihren Kindern über den Streit. Zeigen Sie Verständnis für die Gefühle beider Kinder und bleiben Sie neutral und ruhig, wenn Sie mit ihnen reden, denn lautes Schimpfen kann die ohnehin schon angespannte Situation wiederum verschärfen.
Alles eine Frage der Übung
Geschwisterkonflikte können am besten beendet werden, wenn Eltern auf Augenhöhe zuhören. Jedes Kind sollte zunächst ganz ohne Wertung sagen dürfen, wie es sich fühlt und wie es die Situation wahrnimmt, ohne dabei mit dem Finger auf jemanden zu zeigen. Lassen Sie beide Kinder vollständig ausreden. Sie dürfen weinen und schreien und sich auf dem Boden wälzen, denn der Druck, der sich durch den Streit aufgebaut hat, muss erst einmal wieder raus, erst danach haben Sie wirklich die Aufmerksamkeit Ihrer Kinder. Führen Sie ihnen nun vor Augen, was der jeweils andere denkt, denn so lernen sie, sich in den anderen hineinzuversetzen. Sie können zum Beispiel sagen: „Du bist sauer, weil du glaubst, dass dein Bruder dich nicht mitspielen lässt?“ Im Anschluss konzentrieren Sie sich darauf, eine Lösung zu finden. Älteren Kindern können Sie die Lösungssuche meistens schon selbst überlassen, indem Sie fragen: „Wie können wir jetzt weitermachen? Was habt ihr für Ideen?“ Sie werden erstaunt sein, wie kreativ Kinder werden können, wenn es darum geht, ein Problem zu lösen. Bei kleineren Kindern sollten Sie jedoch aktiv eine Lösung anbieten, was Sie zum Beispiel auch sehr gut spielerisch mit Puppen, Bilderbüchern oder Kuscheltieren verdeutlichen können, um den Streit zu entschärfen.
Kommunikation ist extrem wichtig, wenn es um Konflikte geht, aber auch Ihr eigenes Mindset trägt dazu bei, dass Sie selbst mit Auseinandersetzungen zu Hause besser umgehen können. Behalten Sie immer im Hinterkopf: Geschwisterkonflikte sind völlig normal, sie gehören zum Alltag dazu und dürfen auch vorkommen – und es ist in Ordnung, wenn es Sie anstrengt! Versuchen Sie in Streitsituationen möglichst ruhig zu bleiben und immer wieder tief durchzuatmen. Zur Not können Sie sich ein paar Minuten zurückziehen, um sich zu beruhigen und einen Schluck Wasser zu trinken. Mit jedem Streit lernen Ihre Kinder dazu und auch Ihre Gelassenheit wird mit jeder Konfliktsituation besser werden, denn wie sagt man so schön: Es ist alles eine Frage der Übung. Nicht zuletzt schauen Kinder sich viele Verhaltensmuster bei ihren Eltern ab – Sie sind schließlich ihr Vorbild – weshalb auch Ihr eigenes Streitverhalten und Ihre Reaktion als Eltern eine große Rolle spielt.
Streiten kann stärken
Geschwisterkonflikte sind wichtig für Kinder, um die Streitkultur zu erlernen und zu lernen, wie man sich auseinandersetzt, seinen Standpunkt klarmacht und sich dann aber auch wieder verträgt. Wenn Kinder lernen, wie man Konflikte richtig löst, kann das sogar eine Chance für Geschwister sein, als Team zu wachsen und eine stärkere Bindung aufzubauen. Mit der Zeit nimmt dadurch auch die Rivalität ab und die Verbundenheit der Geschwister wird gestärkt. Zu lernen, wie man Konflikte mit einem positiven Ergebnis löst, ist für ihr gesamtes späteres Leben wichtig, denn Auseinandersetzungen werden Kinder in ihrem Leben immer wieder haben, ob mit Freunden, Partnern oder Arbeitskollegen.
von Esther Marake
FamPLUS - Kompetent im Familienalltag.