Das Interview führte Nicole Beste-Fopma
Sophie Rosentreter bezeichnet sich selbst als „Demenz-Aktivistin“. 2010 gründete sie ihr Unternehmen „Ilses weite Welt“, mit dem sie zum einen Angehörige und Betreuer demenzkranker Menschen unterstützt und zum anderen Filme für Menschen mit Demenz macht. Ihr Ziel: Demenz mit Leichtigkeit begegnen.
Der Weg dahin war eher ungewöhnlich. 1992 startete sie mit dem Modelwettbewerb „Model ’92“ ihre internationale Karriere auf den Laufstegen dieser Welt. 1998 gewann sie ein Moderatorencasting für MTV und zwei Jahre später wurde sie Außenreporterin bei Big Brother. Ab 2004 wechselte sie hinter die Kamera und arbeitet als freischaffende Redakteurin für diverse Film- und Fernsehproduktionen. Für famPLUS wird sie in Zukunft als Referentin für Vorträge und Workshops tätig sein.
Wir haben uns mit Sophie Rosentreter über ihren Werdegang unterhalten und darüber, wie sie Menschen darin unterstützt, Demenz mit Leichtigkeit zu begegnen.
Der Cicero titelte „Vom Topmodell zur Altenpflegerin“. Wie kam es dazu, dass Sie beschlossen sich aus dem Leben als Modell zu verabschieden und sich mit „Ilses weite Welt“ selbstständig zu machen?
Zwischen Modell und Altenpflegerin war noch die Zeit als MTV-Moderatorin und Redakteurin. In dieser Zeit habe ich gelernt, Filme zu machen. Die Idee zu „Ilses weite Welt“ kam mir, als meine Großmutter an Alzheimer erkrankte. In ihren letzten Lebensmonaten wurde sie im Pflegeheim oft vor dem Fernseher „geparkt“. Mir fiel auf, dass die Filme nicht in die Welt meiner Großmutter passten. Also wollte ich Filme für sie machen.
Am Grab meiner Großmutter lernte ich dann Dr. Jens Bruder, ein Geronthologe und Mitbegründer der Alzheimer Gesellschaft, kennen. Er fand die Idee spannend. Er machte mich mit Musiktherapeuten bekannt. Die wiederum stellten mich Pfleger*innen vor und so wuchs die Idee immer weiter.
Unter einer „Altenpflegerin“ stellt man sich gemeinhin, eine Person vor, die pflegebedürftige Menschen versorgt – also Essen reicht, wäscht, anzieht. Das ist es aber nicht, was Sie machen. Wie helfen Sie an Demenz Erkrankten und Ihren Angehörigen?
Ich bezeichne die Menschen lieber als demenziell veränderte Menschen. Helge Rohra, selbst dement, sagt von sich, sie sei: „Touched by dementia.“ Sie fühlt sich durch die Demenz beflügelt und hat einen neuen Sinn im Leben gefunden. Dieser Gedanke gefällt mir.
Ich sehe mich als Brückenbauerin zwischen den Betroffenen und den Pflegenden, indem ich Angehörige und professionell Pflegende unterstütze und aufkläre. Mit Filmen, Vorträgen, Seminaren und Büchern. Mit meinen Filmen für demenziell veränderte Menschen und ihre Angehörigen bringe ich die Betroffenen zueinander – im besten Fall verbringen sie gemeinsam einen schönen Moment. Erinnern sich an Vergangenes, kommen wieder ins Gespräch, begegnen sich auf Herzens- und ganz wichtig auf Augenhöhe. Vergessen den Pflegealltag.
Mit der DAK mache ich das Filmprojekt „Pflegeleicht“. Monatlich gibt es einen Aufklärungsfilme zu einem mit Demenz verbundenen Thema. Zu Beispiel „Autofahren und Demenz“ oder "Sexualität und Demenz“. Ich lasse aber auch Betroffene selber erzählen, wie sich eine Demenz anfühlt. Darüber hinaus habe ich ein Buch geschrieben und an anderen mitgeschrieben.
Ich versuche Möglichkeiten und Lösungen aufzuzeigen, indem ich erkläre, wie sich ein demenziell veränderter Mensch fühlt, was noch bei ihm ankommt. Aber natürlich mache ich auch immer klar, dass es nicht den einen Königsweg gibt. Wir müssen lernen, uns wieder ein Stück weit selbst vertrauen und zur Intuition gepaart mit Wissen zurückfinden. Dann können wir dem Gefühl wieder mehr Raum geben und miteinander im Jetzt sein.
Meine Mutter ist zwei Jahre und einen Tag nach meiner Großmutter verstorben. Ich glaube, sie ist auch an der Überforderung durch die Pflege verstorben. Die letzten Wochen musste ich sie pflegen. Auch körperlich. Das hat mir das Herz gebrochen. Es tut wirklich weh, wenn man sehr Nahstehende pflegt. Nicht jeder kann das. Ich konnte es in dem Moment nicht gut. Die Bilder aus dieser Zeit schmerzen mich noch immer. Auch deshalb muss man den Hut ziehen vor den Alternpfleger*innen, die sich um unsere Eltern kümmern.
Sie machen Filme für an demenziell veränderte Menschen. Was ist an diesen Filmen anders als an anderen Filmen?
Meine Filme haben eine ganz spezielle Bildsprache, sind sehr langsam und gehen in erster Linie über das Gefühl. Es gibt nur wenige Textbausteine, stattdessen sind die Bilder mit klassischer Musik hinterlegt. Darüber hinaus wird in den meisten Fällen aus der „Ich-Perspektive“ erzählt. Man sieht beispielsweise eine Hand, die einen Hund streichelt. Über die Langsamkeit der Bilder, können die Zuschauer*innen mitempfinden, sich fallen lassen. Alle Filme zeigen Situationen und Dinge, die wir alle aus unserem Leben kennen: Hunde, unsere treuen Freunde. Den Garten, in dem eine Familie spielt oder eine leidenschaftliche Gärtnerin sich um die Blumen kümmert. Einen Tierpark, in dem zwei Mütter den Tag mit ihren Kindern verbringen. Das Haushaltsglück der 60er und 70er Jahre. Wir bieten aber auch einen Musikfilm, in dem die Musiker in die Kamera musizieren und aktiv zum mitsingen auffordern. Am Ende wird ein Grammophon gezeigt und man sieht, wie es betätigt wird. Gemeinsam kann man sich so an diese Zeiten erinnern.
Jeder Film ist aufgeteilt in viele kleine Episoden, die zwischen drei und acht Minuten lang sind. Die begleitende Person hat somit die Möglichkeit, einzelne Episoden zu vertiefen – über Fotokarten oder andere selbst ausgedachte Beschäftigungsmöglichkeiten.
Sie sprachen gerade ihre Fotokarten von Hunden, Garten oder Musik an. Warum sind Bilder so wichtig?
Die Fotokarten sind eine Ergänzung zu den Filmen und aus mehreren Gründen wichtig. Zum einen, weil sie den jeweiligen Film ergänzen. Über die Bilder können die Filme vertieft werden. Gleichzeitig werden mit den Fotokarten mehrere Sinne angesprochen, unter anderem auch der Tastsinn und die Menschen müssen sich bewegen: Karte annehmen, umdrehen. Bewegung ist für Menschen mit Demenz aus ergotherapeutischen Gründen sehr wichtig. Je mehr das „Ich“ über den Kopf verloren geht, um so mehr muss ich mich über den Körper spüren. Da hilft jede noch so kleine Bewegung.
Mit ihrem Unternehmen „Ilses weite Welt GmbH“ wollen Sie aber noch viel mehr. Sie wollen unter anderem dem Thema „Alter“ ein neues Image verpassen. Wie wollen Sie das machen?
Indem ich ganz viele Puzzleteile zusammenbringen. Es gibt auch hierfür nicht den einen Lösungsansatz. Es geht um eine Haltung, die wir diesem Thema gegenüber einnehmen müssen. Auch meine Haltung hat sich in den vergangenen Jahren sehr verändert. Was ich früher als unangenehmen empfunden habe, schätze ich heute.
Der Tod kann einen unheimlich viel über das Leben lehren. Alter, Krankheit und Tod haben in unserer Gesellschaft den falschen Stellenwert. Die Alten sind die Weisen, auf die man zugehen sollte, wenn man einen Rat braucht. Sie begegnen dem Leben mit einer Ruhe, von der wir Jungen lernen können. Für mich sind sie wie alte Bäume, die Erfahrung schenken und Schatten spenden. Vielleicht sollte man sich nicht an sie anlehnen, weil sie schon etwas morsch sind.
In unserer Fortschrittsgesellschaft muss immer alles schneller, weiter, höher sein. Die Alten lehren uns stehen zu bleiben, mitzufühlen. Achtsamkeit zu sein.
Alter ist das eine. Demenz etwas ganz anderes. Kann man das Thema „Demenz“ schönreden? Und wenn ja, wie?
Ich möchte nichts auf die leichte Schulter nehmen oder schönreden, aber man kann Demenz anders darstellen. Je mehr Wissen wir über Kommunikationsmethoden oder den Verlauf dieses Syndroms haben, desto leichter wird. Ich habe Beziehungen gesehen, die über diese Diagnose zusammen gefunden haben – sich versöhnt haben. Es ist nicht leicht mit einer Demenz zu leben und es ist auch nicht leicht mit einem von Demenz Betroffenen zu leben. Aber trotzdem gibt es so etwas wie Lebensqualität und Lebensfreude.
Inwieweit konnten sie den „Health Media Preis“, den Sie 2012 für Ihr Engagement erhalten haben, für diesen Erfolg nutzen.
Viel wichtiger als dieser Preis ist mir der "Deutschen Pflegepreis“, den ich in 2018 in der Kategorie „Freund der Pflege“ erhalten habe. Über diese Auszeichnung habe ich mich besonders gefreut, denn ich bin eine Freundin der Pflege. Aber natürlich bin ich auch nur ein Mensch. Preise tun meinem Ego kurzfristig gut. Die Belohnung für meine Arbeit ist dann aber letztendlich doch der Kontakt mit den Angehörigen, die sich bei mir bedanken. Oder die Begegnung mit einem demenziell veränderten Menschen auf dem Flur, wo wir innerhalb kürzester Zeit, obwohl wir uns nicht kennen, eine Nähe aufbauen können, die so innig ist, so echt, so nährend für mich.
Pflege ist in unserer Gesellschaft noch immer ein Thema, über das wir ungern sprechen. Obwohl es so viele von uns betrifft. Warum ist das so und wie können wir das ändern.
Die Werbung und die Medien tragen einen großen Teil dazu bei, dass wir alle jung und schlank sein müssen. Wir sind alle auf der Äußere bedacht. Alles ist aber nur Schein – geht nicht nach innen. Wir müssen uns alle darauf zurückbesinnen, was wirklich wichtig ist im Leben. Es ist nicht das Geld oder die Schönheit. Es sind die Beziehungen die wir gelebt haben oder leben. Aber ich bemerke einen Wandel in unserer Gesellschaft. Hin zu mehr Wertschätzung des Alters und das ist gut so.
Es gibt viele Angehörige, die mit dem Rollentausch, dem Tausch der Verantwortlichkeiten von dem/der Betreuten zur Betreuenden, nicht umgehen können. Was raten Sie diesen?
Hilfe suchen ist ein Zeichen von Stärke, nicht von Schwäche. Wir haben nicht gelernt mit diesen Themen umzugehen – weder im Kindergarten, noch in der Schule, noch in der Familie. Suchen Sie sich Menschen, die helfen und stellen Sie sich vielschichtig und vielseitig auf. Es gibt so Vieles, das den Alltag erleichtert. Von richtigem Besteck über das geeignete Badezimmer bis hin zur Tagespflege oder Betreuungsgruppe oder Jogagruppen für pflegende Angehörige oder Kommunikationsformen der Validation oder Integrativen Validation oder Musiktherapie oder Kunsttherapie.
Wir lassen uns nur allzu oft von der Last der Pflegesituation erdrücken und haben nur noch einen Tunnelblick für unser eigenes Leid. So kommen wir aber nicht aus der Opferrolle raus und können auch nicht an uns selbst und dieser Aufgabe wachsen.
Wie war das für Sie, als Sie Ihre Großmutter plötzlich pflegen mussten und nicht mehr von ihr großmütterlich umsorgt wurden?
Das war furchtbar. Ich hatte oft Angst vor ihr. Mich vor meinem geliebten Menschen zu fürchten – ein Gefühl, das ich so nicht kannte. Hätte ich nur gewusst, was in ihr los ist und wieso sie diesen Ausdruck des Wahnsinns im Gesicht hat. Mit dem Wissen von heute hätte ich ganz anders reagiert und es uns allen leichter gemacht. Daher mein Tipp für alle Pflegenden Angehörigen: Stellen Sie sich einen bunten Koffer an Wissen und Methoden an die Seite. Dann klappt das Leben auch mit dem demenziell veränderten Menschen.
Vermissen Sie das Leben in der Welt der Mode?
Nein! Ich möchte an keinem anderen Ort sein, als da, wo ich es jetzt bin. Ich habe noch viel vor. Aber die Pflege ist der Bereich, der mich zum besseren Menschen werden lässt.
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