Kinder ernst nehmen - Adultismus als gesellschaftliche Herausforderung

In einer Welt, die in großen Teilen von Erwachsenen für Erwachsene gestaltet ist, stoßen Kinder und Jugendliche häufig auf systematische Benachteiligung aufgrund ihres Alters - ein Phänomen, das als Adultismus bezeichnet wird. Kindern und Jugendlichen können damit wichtige Entwicklungserfahrungen genommen werden. Umso wichtiger ist es, ein Bewusstsein für diese Problematik zu schaffen und die in der UN-Kinderrechtskonvention verankerten Rechte von Kindern zu stärken.

Was ist Adultismus?  

Adultismus beschreibt ein systematisches Machtungleichgewicht zwischen Erwachsenen und Kindern bzw. Jugendlichen und gilt als eine Diskriminierungsform. Es wird vermutet, dass es sich sogar um die erste Diskriminierungsform handelt, mit der ein Mensch konfrontiert wird. Dieser noch relativ neue Begriff im deutschsprachigen Raum bezeichnet, wie Erwachsene durch gesellschaftlich verankerte Denk- und Handlungsmuster ihre Macht gegenüber jungen Menschen ausüben.

Die Diskriminierung basiert auf fest verwurzelten Normvorstellungen, wonach Erwachsene sich in verschiedenen Lebensbereichen als kompetenter oder intelligenter betrachten - sei es aufgrund des Alters, der umfangreicheren Erfahrung oder des Geschlechtes. Vorurteile und von Diskriminierung geprägtes Verhalten können sich damit sowohl auf das Familienleben als auch soziale Institutionen auswirken und Einfluss auf die Kindererziehung und die Sichtweise auf Kinder in der Gesellschaft haben.

Warum Adultismus problematisch ist

Adultismus zeigt sich häufig in alltäglichen Aussagen wie "Dafür bist du noch zu jung" oder "Du bleibst so lange beim Essen sitzen, bis du deinen Teller aufgegessen hast". Solche Aussagen nehmen Kindern die Möglichkeit wichtiger Erfahrungen für ihre Entwicklung, der Chance, eigene Grenzen kennenzulernen und Selbstwirksamkeit zu erfahren und damit Selbstvertrauen aufzubauen.

Besonders problematisch ist, dass sich adultistisches Verhalten oft unbewusst in der Sprache und im Handeln von Erwachsenen manifestiert. Da viele Menschen diese Denkmuster durch ihre eigene Erziehung verinnerlicht haben, werden sie häufig unreflektiert an die nächste Generation weitergegeben. Dies macht Adultismus zu einem gesellschaftlichen Phänomen, das mehr Aufmerksamkeit und kritische Reflexion verdient, denn ebenso wie Erwachsene haben auch Kinder Rechte.

Was sind Kinderrechte? 

Mit der UN-Kinderrechtskonvention 1989 haben die Vereinten Nationen erstmals ein Dokument veröffentlicht, das die Rechte und Interessen von Kindern weltweit schützen soll. Die Rechte gelten für alle Kinder unabhängig ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft, ihres Geschlechts oder ihrer Religionszugehörigkeit. Mit der UN-Kinderrechtskonvention werden die Erwachsenen in ihrer Schutzfunktion in die Pflicht genommen. Die Vertragsstaaten haben sich mit der Unterzeichnung des Vertrages dazu verpflichtet, die Einhaltung der Regeln zu sichern (vgl. UN Kinderrechtskonvention 1989, S. 7f.). Im ersten Teil der Konvention, der 41 Artikel umfasst, werden Kindern verschiedene Rechte zugesprochen. Vier grundlegende Artikel der UN-Kinderrechtskonvention sind

  • das Recht auf Gleichbehandlung (Art. 2 Abs.1),

  • der Vorrang des Kindeswohls beim Fällen von Entscheidungen durch den Erwachsenen (Art. 3 Abs.1),

  • das Recht auf Leben und persönliche Entwicklung (Art. 6) sowie

  • die Achtung der Meinung und dem Willen des Kindes (Art. 12).

Die Artikel stellen einen wesentlichen Schritt in der Anerkennung und Sicherung der Rechte von Kindern weltweit dar und durch die Verpflichtung der Staaten, diese Rechte zu schützen und zu fördern, sind sie ein notwendiger Beitrag zu einer kinderfreundlicheren und gerechteren Gesellschaft.

Herausforderungen in der Umsetzung 

Es gibt ein Spannungsfeld zwischen der kindlichen Autonomie und ihrer Rechte und dem Schutzauftrag der Erwachsenen. Das in der Erziehung vorhandene Ungleichgewicht ist nicht immer diskriminierend und manchmal sind Eingriffe in die Autonomie des Kindes notwendig. Wenn Eltern zum Beispiel nicht zulassen, dass ihr Kind im Winter das Haus barfuß und im Schlafanzug verlässt, sondern mit Jacke und Schuhen, dann kommen sie damit ihrer elterlichen Pflicht nach, denn die kalten Temperaturen können ohne entsprechende Kleidung die Gesundheit des Kindes gefährden. Auch im Straßenverkehr ist es wichtig, dass bestimmte Regeln, die dem Schutz des Kindes dienen, eingehalten werden. In solchen oder ähnlichen Situationen kann der Kindeswille folglich nicht immer berücksichtigt werden. Jedoch gibt es auch viele Situationen, bei denen es sehr wohl möglich wäre, Kinder stärker mit einzubeziehen, wie z.B. bei der Ausarbeitung von Familienregeln. Durch eine veränderte Haltung und Kommunikation seitens der Erwachsenen können so auch Machtkämpfe zwischen Erwachsenen und Kindern verringert werden.

Was kann gegen Adultismus getan werden? 

Ein wesentlicher erster Schritt im Umgang mit Adultismus besteht darin, sich selbst zu reflektieren und das eigene Verhalten zu hinterfragen. Adultistische Denkmuster entstehen oft unbewusst, was die Notwendigkeit mitbringt, sich aktiv mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Dazu gehört, verschiedene Situationen zu betrachten und zu überlegen, wie man respektvoller und unterstützender hätte reagieren können. Ein offenes Gespräch im persönlichen Umfeld oder ein Austausch über das Thema kann helfen, ein besseres Verständnis zu entwickeln und gemeinsam positive Veränderungen zu schaffen.

Ein weiterer wichtiger Schritt ist es, Kindern und Jugendlichen ihre Rechte klar und deutlich zu vermitteln. Sie sollten wissen, dass ihre Meinung zählt und sie Rechte haben, die sie einfordern dürfen. Hierbei ist es hilfreich, Kinderrechte sichtbar zu machen, zum Beispiel durch das Ausdrucken und Aufhängen von Informationsmaterialien. So wird das Thema greifbar und bleibt im Bewusstsein der Kinder und ihrem Umfeld.

Partizipation spielt ebenfalls eine zentrale Rolle, um Adultismus zu überwinden. Kinder und Jugendliche sollten, soweit es möglich ist, in Entscheidungen einbezogen werden - sei es in der Familie, der Schule oder sogar in politischen Prozessen. Ihre Meinungen sind genauso wichtig wie die der Erwachsenen, und durch mehr Mitspracherecht können sie lernen, Verantwortung zu übernehmen und selbstbewusst ihre eigenen Grenzen zu wahren.

Durch diese bewusste Auseinandersetzung mit Adultismus, das Fördern von Selbstbestimmung und das Schaffen von Mitspracherechten können wir dazu beitragen, dass die Rechte und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen nicht nur anerkannt, sondern auch aktiv gestärkt werden.

 

Lust auf mehr? Hier finden Sie weitere Informationen, Materialien und Links, die das Thema betreffen:

Für Erwachsene:

Für Kinder und Jugendliche:

 

 

Quellen:

NCBI Schweiz und Kinderlobby Schweiz (Hrsg.) (2004) Not 2 young 2 - Alt genug um... Rassismus und Adultismus überwinden. Schaffhausen: K2-Verlag.

Saadi, Iven (2018) Adultismus im Feld geschlechtliche, amouröse und sexuelle Vielfalt. In: Debus, Katharina und Laumann, Vivien (Hrsg.) Pädagogik geschlechtlicher, amouröser und sexueller Vielfalt [online]. Berlin: Dissens Institut für Bildung und Forschung. S. 29-31.

Singer, Katrin und Greth, Silke (2015) Critical Adultism. In: Feministisches Geo-RundMail (62) S. 12-26.

UN-Kinderrechtskonvention (1989) Konvention über die Rechte des Kindes. Verfügbar über: https://www.unicef.de/informieren/materialien/konvention-ueber-die-rechte-des-kindes/17528 [Letzter Zugriff: 14.11.2024]

Ritz, ManuEla (2013): Adultismus -(un)bekanntes Phänomen. Erschienen in: Handbuch Inklusion. Grundlagen einer vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung. Verlag Herder 2008. https://situationsansatz.de/wp-content/uploads/2019/08/Ritz2013_Adultismus_Handbuch-Inklusion.pdf [Letzter Zugriff: 14.11.2024]

 

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